Das Geständnis der Amme
von Laon sich zunächst geweigert, sie zu empfangen. Von der Tür aus, hinter der sie warteten, konnten Balduin und Judith dem Streitgespräch lauschen, das zwischen den beiden entbrannte. Wenn sie auch nicht jedes Wort verstanden, so bekundete der Bischof doch deutlich genug, dass er mit der Sache nichts zu tun haben wollte.
Bruder Ambrosius’ unsicherem Tonfall war anzuhören, dass es ihn selbst bitter reute, als einer der Ersten auf die Ankömmlinge gestoßen zu sein. Doch anders als der Bischof war er sich seiner Pflichten bewusst.
»Der Graf von Laon darf vor ihnen die Türe verschließen«, erklärte er, »aber wer Schutz bei der Kirche sucht, der muss aufgenommen werden, ganz gleich, ob er nun ein Frevler ist oder nicht.«
Balduin und Judith hatten nicht verstanden, was Hinkmar von Laon darauf erwidert hatte – aber zumindest hatte er sie wenig später in die Amtsstube gebeten, wo er nun mit sichtlichem ärger die Fersen in den Boden hieb.
»Kirchenasyl!«, stieß er schließlich mürrisch hervor, als verbärge sich hinter dem Wort größte Schande. »Ihr bittet um Kirchenasyl! So habt ihr euch das also ausgedacht! Wisst ihr eigentlich, in welche Lage ihr mich bringt?«
Balduin senkte seinen Blick. Er war dem Bischof von Laon nicht oft begegnet, hatte ihn aber bei diesen wenigen Anlässen als etwas eigenwilligen und doch aufrichtigen Menschen zu schätzengelernt. Er war genauso eitel und besitzgierig wie der Bischof von Senlis. Doch er besaß nicht dessen Hochmut und Geiz, eher eine kindliche Lust daran, es sich möglichst gut gehen zu lassen. Hinter seinem Rücken wurde oft gelacht, nie aber boshaft gelästert. Seinem bischöflichen Vetter, dem gleichnamigen Hinkmar von Reims, glich er weder in Gestalt noch im Auftreten. Er war etwas kleiner und runder und trug – während die Miene des anderen verkniffen und verschlagen war – seine Gefühle und Gedanken ehrlich zur Schau.
»Ich werde Graf Balduin heiraten«, sagte Judith plötzlich unverdrossen.
Erstaunt blieb Hinkmar von Laon stehen und vergaß diesmal, den Kopf zu schütteln. Auch Balduin war zusammengezuckt. Nicht zum ersten Mal bekundete Judith diesen Willen, doch er hatte gehofft, sie würden Zeit finden, ausführlich darüber zu reden, ehe sie mit anderen darüber sprach. Er selbst hatte noch nicht entschieden, ob er den Gedanken reizvoll oder beschämend fand.
»Das wird nicht möglich sein«, schnaubte Hinkmar.
»Warum nicht?«, trotzte sie ihm augenblicklich.
Er rang mit sich. Dann entschied er wohl, dem jungen Paar nichts von dem, was er wusste, vorzuenthalten. »Die Nachricht, was in Senlis geschehen ist, hat sich sehr schnell verbreitet. Der König ist derart erzürnt, dass er dem Hofgericht augenblicklich befohlen hat, Graf Balduin … Balduin«, er verzichtete beim zweiten Mal bewusst auf den Titel, »sämtliche Lehen entziehen zu lassen.«
Er machte eine kurze Pause. Balduin bemühte sich, gleichmütig zu bleiben. »Und das ist nicht alles«, setzte der Bischof schließlich hinzu. »Mein werter Vetter, der Bischof von Reims, will euch beide exkommunizieren. Soweit ich weiß, versuchen Bischof Rothard von Soissons und Bischof Ratramnus von Corbie ein gutes Wort für euch einzulegen – nicht zuletzt, weil sie meinen Vetter hassen. Aber ich denke nicht, dass sie sich durchsetzen werden. Wollt ihr wissen, was der Bischof von Reims mir über euch geschrieben hat?«
Balduin blieb starr, Judith hingegen deutete ein Nicken an. Mit einem hörbaren Schnaufen trat Hinkmar von Laon zu seinem Schreibpult und griff nach einem Brief. Nachdem er ihn aufgerollt hatte, begann er zu lesen: »Nach erfolgtem Spruch des weltlichen Gerichts fordere ich alle Bischöfe dazu auf, über Balduin und über Judith, die mit dem Dieb entlaufen ist und sich zur Genossin der Unzucht gemacht hat, auch das geistliche Urteil nach dem Dekret des seligen Gregorius zu fällen, wonach, wenn jemand eine Witwe entführt, um sie zu seiner Frau zu machen, er und alle, die dem zugestimmt, verflucht sein sollen.«
Balduin atmete hörbar aus. Das war es also, was Bruder Ambrosius angedeutet hatte, aber nicht aussprechen wollte. Aufgrund ihres unbotmäßigen Verhaltens würden sie aus der Gemeinschaft der Kirche verstoßen – die schlimmste aller möglichen Strafen für einen Christenmenschen, bekundete sie doch nichts Geringeres, als dass sie von allen Sakramenten ausgeschlossen wären und außerhalb der Gnade Gottes stünden, folglich in die ewige Hölle eingehen
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