Das Geständnis der Amme
Vater zu sprechen, die nicht zuletzt deshalb entbrannt ist, weil Lothar im Zweifelsfall auf der Seite von Ludovicus Germanicus steht. Dies ist freilich nur allzu verständlich, denn Ludovicus hat ihm stets geholfen, sich gegenüber seinem Bruder Ludwig – Kaiser und König von Italien – zur Wehr zu setzen. Das begann schon bei seiner Krönung, die, wie gesagt in Frankfurt stattfand, der Pfalz vonLudovicus. Dies natürlich wiederum nur, weil er einen Verbündeten gegen den eigenen Bruder – meinen Vater – brauchte. Gleiches gilt übrigens auch jetzt.«
»Warum? Ich dachte, Ludovicus Germanicus wüsste nun, dass er das Gebiet deines Vaters wohl nie für sich erringen kann.«
»Schon, schon. Aber ich habe doch den schwachsinnigen Karl von der Provence erwähnt. Du kannst dir denken, was passiert, wenn dieser tatsächlich stirbt.«
»Ich nehme an, dann hat jeder Einzelne Gelüste auf die Provence und Burgund.«
»Ich fürchte, ja. Mein Vater wird die Gebiete gewiss beanspruchen, grenzen sie doch zu einem großen Teil an sein Reich. Doch auch Lothar wird sie haben wollen. Ludovicus Germanicus wird wiederum Lothar unterstützen, weil er seinem Bruder Karl die Provence nicht gönnt. Und dann gibt es nicht zuletzt Kaiser Ludwig von Italien, der ebenfalls danach greifen wird. Um sich gegen diesen zur Wehr zu setzen, wird Lothar wieder einmal seinen Onkel Ludovicus um Hilfe rufen, der zwar ohnehin schon auf seiner Seite steht, aber sich umso erkenntlicher zeigen wird, wenn Lothar ihm jenen Teil vom Eisass abgibt, auf den er seit langem spekuliert.«
»Durchschaue einer diese Familie!«, rief Balduin entnervt aus.
»’s ist meine Familie«, erwiderte Judith mit einem spröden Lächeln, »und somit ist es auch die deine, nachdem du mich doch geheiratet hast. Im übrigen: Um dieses Ungemach nicht auch noch zu verschweigen – es gibt noch einen gewissen Karlmann.«
»Gottlob, dass er wenigstens anders heißt als der Rest.«
»Nun, ich hätte auch noch einen Bruder dieses Namens anzubieten. Doch der, den ich meine, ist der Sohn von Ludovicus Germanicus und gerade dabei, gegen den eigenen Vater zu rebellieren. Das könnte wiederum bedeuten, dass dieser so beschäftigt ist, den Aufstand niederzuschlagen, dass er dem Neffen Lothar im Kampf um die Provence nicht zu Hilfe kommen kann.«
Balduin schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich dachte immer, bei den Königen gelte, dass die Macht mit den Söhnen kommt und geht? Bei deiner Familie hingegen scheint es die Gewähr zu sein, ständig um diese Macht kämpfen zu müssen.«
»Ganz so ist es nicht. Denn wer keine Söhne hat, hat zwar niemanden, dessen Rebellion zu befürchten ist. Er befindet sich jedoch in einer schwächeren Position als seine machtlüsternen Brüder. Glaub mir, gerade Lothar kann ein Lied davon singen.«
»Hat er denn keinen Sohn?«, fragte Balduin.
»Doch ja … oder eigentlich, nicht wirklich«, sagte Judith.
»Was denn nun? Ja oder nein?«
Sie schien zu einer Erklärung ansetzen zu wollen, zuckte dann aber die Schultern. »Das ist eine lange Geschichte«, meinte sie schließlich, »und nicht minder verworren als der stete Bruderkrieg.«
»Dann kann es warten!«, rief Balduin entschlossen aus. Von Geschichten über Brüder, die fast alle den gleichen Namen trugen, hatte er fürs Erste fürwahr genug.
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XXI. Kapitel
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Sie erreichten Trier, eine der Königspfalzen im lothringischen Reich; die Abendsonne warf tiefe, aber nicht bedrohlich schwarze Schatten und tauchte die alte, mächtige Stadt in ein heimeliges, warmes Braun: die mächtigen Mauern, die vielen Weinberge auf den Hügeln, die sie umgaben, die Türme von der Königspfalz, dem Grafensitz und den vielen Kirchen. Da gab es die Doppelkathedrale von Sankt Peter und Liebfrauen, nicht weit davon Sankt Laurentius und schließlich das Konstantinbasilika. Schon vor den Mauern – rund um das Kanonikerstift und die Benediktinerklöster – reihte sich Haus an Haus, und als sie über die alte Römerbrücke ritten und die Barbarathermen sowie Sankt Maria ad pontem passierten, um zur Pfalz zu kommen, gewahrten sie, dass die Besiedlung noch dichter wurde.
Die vielen Bäume – schwerer Ahorn war ebenso darunter wie schlanke Birken – raschelten beifällig, als wollten sie sie willkommen heißen. Balduin gewahrte, wie die Anspannung von ihm wich, und fühlte sich – allein ob der warmen Luft und des milden Lichtes – zum ersten Mal seit Wochen in Sicherheit.
König Lothar IL, der
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