Das Geständnis der Amme
könnten.›« Wieder nickte er kleinlaut, doch diesmal schloss sich ein selbstbewusstes Lächeln an. »Eins tut mir freilich nicht mehr weh, seit ich aus dem Kloster geflohen bin, nämlich mein Daumen! Ha, war mir das Schreiben lästig! Und wie kalt es immer im
Scriptorium
war! Und ich weiß ja auch, wenn man auf einer Seite einen Fehler macht, so sollte man sie neu beginnen. Aber dann dachte ich mir, solange es nur ein Fehler ist, solange nur ein Wort fehlt, ist doch der Sinn des Ganzen nicht geändert, oder? Nun, ich war viel lieber im Garten als in der Schreibstube, wobei es im Garten auch tausend Versuchungen gibt für einen wie mich. Diese roten äpfel, die an den Bäumen wachsen! Ihr wisst doch, dass wir Mönche keine äpfel berühren dürfen, weil das an die Erbsünde im Paradies erinnert? Es sind die Laien und Konvertiten, die sie ernten!«
Balduin verdrehte ungeduldig die Augen. »Sag, kannst du, auf freundliches Bitten hin, das, was du in zehn Sätzen sagst, auch in einem zusammenfassen?«
Wunibald zuckte nachdenklich mit den Schultern und wackelte dabei mit dem runden Kopf hin und her, als müsste er darüber nachsinnen. »Ich sagte doch schon: Mein Prior stellt sich die Hölle so vor, dass ich neben ihm hocke und …«
»Wie willst du uns helfen?«, fiel Balduin ihm wieder ungeduldig ins Wort. Diesmal vermied Judith zu lachen, aber ein Grinsen konnte sie sich nicht verkneifen.
»Mir scheint«, warf sie ein, »dass unser flüchtiger Mönch nicht plant, in sein Kloster zurückzukehren. Hat er freilich kein Empfehlungsschreiben seines Abtes oder seines Bischofs bei sich, um es auf Fragen hin vorzuweisen, so wird man ihn nicht lang in Freiheit leben lassen.«
Wunibald strahlte Judith an. »Ich weiß zwar nicht, woher Ihrstammt, edle Dame, aber ich muss schon sagen: Ihr seid ganz nach meinem Geschmack. Eine schnelle Auffassungsgabe ist übrigens auch das, worin ich gut bin. Es gibt nicht viele andere Dinge, von denen ich das behaupten kann. Ich weiß, ein Mönch wie ich sollte das Credo und Paternoster kennen, die Psalmen in Verse zu modulieren und die Bibel zu lesen wissen. Und wenn es hart auf hart kommt, kann ich das auch alles. Nur wirklich Spaß macht es mir nicht zu predigen. Deswegen finde ich es außerordentlich gemein, dass ausgerechnet ich – ein vogelfreier, heimatloser Mönch – mich ständig dem Verdacht ausgeliefert sehe, Irrlehren zu verbreiten, wie es einst Bruder Gottschalk tat. Ja, es kommt nicht selten vor, dass Männer wie unsereins im Auftrag des Königs verhaftet und in den Kerker geworfen werden. Wenn sie ganz viel Glück haben, dann liefert man sie dem heimatlichen Kloster aus – aber denkt Euch nur, was das für eine Strafe für meinen armen Prior wäre!«
Balduin schnaubte ungeduldig.
»Das wollen wir ihm doch nicht antun, oder?«, entgegnete Judith indes. »Warum aber willst du ausgerechnet nach Rom?«
Wunibald seufzte sehnsüchtig und schmatzte hernach, als hätte er noch Reste jenes Bratens im Mund, dessen Saft seine Kutte beschmutzt hatte. »In meiner Jugend – sie ist länger her, als Ihr glaubt –, da durfte ich eine Pilgerreise mitmachen. Und glaubt mir: Jenseits der Alpen ist das Leben nicht unbedingt besser, jedoch wärmer. Und die Müdigkeit und der Hunger, die sind bei Kälte schlichtweg schwerer zu ertragen als bei Hitze. So habe ich mir gedacht, dass mir ein Leben dort besser anstünde. Ich will ja meine Gelübde nicht für alle Zeit brechen, und in irgendeinem Kloster Unterschlupf zu finden, das würde mir schon gefallen. Nur soll die Sonne eben öfter auf meine Glatze scheinen. Darum dachte ich, wenn ich ein herrschaftliches Paar wie euch begleitete, als Geistlicher, der über deren Seelenheil wacht, was die beiden wiederum sämtlichen Leuten, die danach fragen könnten, bestätigten – dann könnte ich umgekehrt diesem herrschaftlichen Paar meine Erfahrungen anbieten, die ich bei der letzten Alpenüberquerungmachen durfte. Wie gesagt: Eine Hand wäscht die andere – und so zögen wir doch beide einen Vorteil daraus.«
Abwartend starrte er erst Judith an, dann Balduin. Jener knurrte Unverständliches.
»Ach bitte, mein Herr!«, flehte Wunibald. »Ich habe Eure Liebste bereits für mich eingenommen. So sollte ich denn auch Euer Herz gewinnen können!«
Er hob die Hände – seine Finger waren kurz und weibisch – und ließ sie mehrere Male aneinanderklatschen.
»Wenn du uns tatsächlich begleiten willst«, gab Balduin schließlich nach, »so bist du
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