Das Geständnis der Amme
geistesgegenwärtig genug, dem Vorbild des Trägers zu folgen und sich gemeinsam mit Judith rasch zur Seite rollen zu lassen, erwartend, dass das Pferd nicht nach ihnen treten würde.
Sämtliche Wimpern schienen nun von den Schneeflocken verklebt. Nie hatte er sich so kalt und nass gefühlt wie in dem Augenblick, da er sich mühsam erhob – und Judith erging es ähnlich. Er konnte ihr Schlottern fühlen, das ihm durch und durch ging, hörte, wie sie mühsam nach Atem rang, wieder hustete.
»Geht es dir gut?«
Nicht er stellte diese Frage, sondern Bruder Wunibald. Der Mönch hatte sich als Erster zu ihnen durchgekämpft, obgleich Balduin von jenem am wenigsten erwartet hatte, dass er sich um mehr scheren würde als um das eigene Wohl. Doch er schien ehrlich besorgt, und Balduin rechnete es ihm hoch an.
»Es ist alles in Ordnung«, stammelte Judith zähneklappernd, »es ist …«
Ein angstvolles Wiehern durchschnitt ihre Worte. Das Pferd hatte endgültig seinen Halt verloren, war zu Boden gefallen, lag da mit verdrehten Augen und Speichel vor dem Mund. Erst jetztgewahrte Balduin, dass der Himmel sich endlich als gnädig erwies und den Schneefall hatte versiegen lassen.
Für das Tier kam es zu spät. Der Träger, der sich den Schnee abgeschüttelt hatte, beugte sich darüber.
»Fuß gebrochen«, stellte er fest, und ehe er Balduin oder den anderen Zeit gab, dieses Urteil zu überprüfen, schnellte seine Hand bereits zu einem seiner vielen Bündel, zog ein Messer hervor und durchschnitt die große Ader am Hals des Tieres. Es röchelte, doch irgendwie ruhiger als zuvor. Das Blut spritzte wie eine rote Fontäne hoch, eine Farbe, die Balduin fast zu grell erschien in diesem steten Weiß.
Er erinnerte sich an ein ähnliches Bild, damals an jenem Wintertag, da Ludwig den Normannen erschlagen hatte, der auf ihn losgegangen war und der schließlich ebenfalls auf dem kalten Bett des Schnees sein Grab fand.
Zähneklappernd barg Judith ihren Blick an seiner Brust. Er erwiderte die Umarmung, doch selten hatte er sich so leer, so hoffnungslos gefühlt.
Lass es kein böses Omen sein, dachte er, lass es kein böses Omen sein.
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XXVI. Kapitel
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Sie fanden wie erhofft Unterschlupf in einer Klause. Die ganze Nacht über hielt Judith Balduin mit ihrem Husten wach. Sie kämpfte darum, ihn sich zu verbeißen. Doch kaum schien ihr Atem einen ruhigeren Takt gefunden zu haben, überwältigte sie erneut der Drang, sich zu räuspern, und daraus erwuchs rasch ein gurgelnder, gequälter Laut. In den letzten Wochen war ihr Husten trocken gewesen, nun sah Balduin, wie sie Schleim spuckte. Als es in den Morgenstunden endlich dämmerte, wurde ihr Husten schwächer, aber seine Erleichterung darob hielt nicht lange an: Ihr Gesicht glühte rot vom Fieber, das den geschwächten Körper den ganzen Tag über gefangen hielt.
Schon am Tag zuvor, als sich Gott ihnen inmitten des Schneesturms gnädig gezeigt und ihnen den Weg zur Klause gewiesen hatte, hatte er beschlossen, dass ihre Reise vorläufig eine Unterbrechung finden und sie dort ein paar Tage verbringen sollten, bis der Himmel sich wieder aufhellte. Nun war es vor allem Judiths Krankheit, die die Weiterreise unmöglich machte.
Unruhig schritt er auf und ab. Der Raum, in dem sie sich befanden, glich einer Höhle, denn das rundliche Gebäude war direkt in eine Felswand hineingebaut und der hintere Teil nicht von Stroh und Holz überdacht, sondern von dem grauen Gemäuer. Obwohl mit Teppichen und Wandbehängen ausgelegt, vermittelte der Raum wenig Geborgenheit, schien eher der Unterschlupf für waidwunde Tiere zu sein, die sich inmitten einer unwirtlichen Welt verkrochen, als für Menschen. Karg war auch das Licht, das unruhig tanzende Schatten auf die Wände warf. Es kam vonder Feuerstelle im Vorraum, durch dessen löchrige Wände der Wind pfiff. Gleichwohl erleichtert, dass sie in dieser Höhe überhaupt etwas vorgefunden hatten, was von Menschenhand errichtet war, hatte Balduin das Gefühl, nie so ärmlich, schmutzig und gottverlassen gehaust zu haben.
Judiths Geist freilich war zu sehr im Fieber gefangen, um der Umgebung gewahr zu werden.
Einmal sank sie kurz in einen unruhigen Schlaf, um schließlich aufzufahren und zu stammeln: »Wo bin ich?«
Er eilte an ihre Seite, ergriff ihre nassgeschwitzte Hand. »Kannst du dich erinnern? Wir sind in einen Schneesturm geraten, dein Pferd … ist gestürzt. Aber hier in dieser Klause sind wir in Sicherheit.«
In ihren feuchten Augen
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