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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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seine Schuhe durchgeweicht sein mussten. Soweit Balduin verstand, gab es ganz in der Nähe eine Klause, in die sie einkehren konnten.
    Balduin drehte den Kopf wieder nach oben, wo ihn das Schneegestöber augenblicklich erblinden ließ, erleichtert, dass ein Ende der Mühsal in Sicht war. Dann konnte er sich immer noch Judiths Wohlergehens vergewissern, dann …
    Ein Laut ließ ihn aufschrecken, der in jener tonlosen, im Weiß erstickenden Welt ebenso unerwartet wie bedrohlich war. Er wusste nicht, ob der eine schrille Ton tatsächlich ein Schrei war, denn er wurde vom Wind fast gänzlich verschluckt. Umso deutlicher aber erklang das verzweifelte Wiehern eines Pferdes, dessen Hufe aus Weidengeflecht wohl keinen festen Halt mehr zu finden schienen und das in die Tiefe zu rutschen drohte.
     
    Diesmal machte Balduin sich nicht die Mühe, sein Pferd zu wenden. Er sprang von dessen Rücken, indes dem Tier das verzweifelte Gewieher seines Artgenossen nicht entgangen war und es unruhig schnaubend in den Schnee trat. Balduin hatte keine Zeit, es zu beruhigen. Bis zu den Knien steckte er im kalten Weiß, das nicht nur augenblicklich durch sämtliche Ritzen seiner Kleidung drang, sondern so schwer war, dass er bereits den ersten Schritt mit einem lauten ächzen tat. Mit jedem weiteren versank er noch tiefer. So wie er bereits zuvor jegliches Zeitgefühl verloren hatte, wusste er auch jetzt nicht zu sagen, wie lange er sich durch die Schneemassen kämpfte. Der Wind hatte sich gedreht.Hatte es davor in sein Gesicht gestaubt, als er gen Süden ritt, geschah ihm nun das Gleiche, als er sich auf den Weg zurück machte. Ungehalten fluchte er ob dieser Verschwörung sämtlicher Himmelsmächte wider ihn … und er hörte einen ähnlichen Laut aus dem Mund des Trägers kommen, der sich wie er nach hinten kämpfte.
    »Judith!«, schrie er wieder.
    Noch sah er nicht, wessen Pferd da voll Panik wieherte, doch er wähnte sie in Not, umso mehr, als er an Bruder Wunibald vorbeikam, der ausnahmsweise nur lautlos klagte und betete, an Joveta, die sich verzweifelt flennend an dem eigenen Tier festklammerte, obgleich es ruhig stand, und schließlich an Johanna, die so starr und aufrecht saß, als wäre die Schneekönigin in ihre Gestalt geschlüpft und hätte sie von innen her erfrieren lassen.
    Ein wenig lichtete sich nun der Vorhang aus dicken Flocken. Kleiner schien zu werden, was der Allmächtige aus den Wolken schüttelte.
    »Judith!«
    Endlich sah er, wie sie verzweifelt versuchte, ihres Pferdes Herr zu werden. Nachdem es anscheinend ausgerutscht und über den unebenen Weg geschlittert war, war es nun in eine derartige Unruhe verfallen, dass es mit den Vorderbeinen in die Luft stieg und seine Lage noch unsicherer machte. Es rutschte und trippelte gleichzeitig, drehte sich halb im Kreis und entfernte sich immer weiter von dem eigentlichen Weg. Die weiße Fläche war dort nicht von ihren Schritten zerwühlt, sondern unberührt glatt –kein gutes Zeichen, mochten sich darunter doch spitze Felsen oder Abgründe verbergen.
    Der Träger hatte Judith zuerst erreicht. Ohnmächtig kämpfte Balduin gegen das Gewicht an, das seine Füße am Boden festzubinden schien, und sah zu, wie der Mann versuchte, nach den Zügeln des Tieres zu greifen. Er war zu klein dafür, erreichte sie nicht, stimmte das Pferd aber umso panischer. Wieder stieg es mit den Vorderbeinen hoch, so abrupt, dass der kleine, stämmige Mann schwankte, zu Boden fiel und sich gerade noch – um dieeigene Achse drehend – fortwälzen konnte, ehe ihn die Hufe trafen. Als er sich wieder erhob, war er so weiß, dass er sich kaum von der Umgebung abzeichnete. Er schüttelte sich, doch in diesem Augenblick hatte Balduin das Pferd erreicht. Er versuchte gar nicht, es zu bändigen oder beschwörend auf das Tier einzureden, so wie er es bei seinem eigenen getan hätte. Immer noch halbblind vom Schnee fasste er nach Judiths Arm, riss einfach daran, ungeachtet, ob er ihn ihr dabei verrenkte, ja nicht einmal gewiss, ob er stattdessen vielleicht ihren Fuß erwischt hatte. Er hörte sie aufschreien, doch sie setzte keinen Widerstand entgegen, sondern ließ sich auf ihn fallen. Für gewöhnlich hätte er ohne Mühen ihrem Gewicht standgehalten, doch jetzt war er zu erschöpft und ließ sich einfach in das weiche Schneebett sinken. Sie kam direkt auf ihm zu liegen, und während sich der weiche Schnee kurz einfach nur wohlig anfühlte und er nicht länger kämpfen wollte, war er doch

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