Das Geständnis der Amme
jugendlichen Lebens, das sich seiner nährenden Wurzeln nicht bang vergewissern musste, sondern unbekümmert in die Höhe drängte.
Bruder Wunibald schien den Anblick zu genießen. Auch er war wie sie alle in den letzten Wochen verstummt, doch nun beganner schon im Morgengrauen zu schwatzen, und er hörte bis in die Abendstunden nicht auf.
Dass das Schlimmste geschafft sei, wiederholte er immer wieder. Dass die einzige Gefahr, die jetzt noch auszustehen sei, von den Flüssen komme, die man überqueren müsse. Nicht überall seien Brücken oder Fähren zu erwarten, oft müsse man durch das reißende Wasser waten und zu diesem Zwecke die gangbare Furt benutzen, ansonsten liefe man Gefahr, unterzugehen und zu ertrinken. Bei dem Gedanken an kaltes Wasser schlackerte sein ganzer Körper, doch kaum hatte er in seiner Vorstellung die vielen Tröpfchen abgeschüttelt wie ein Hund, war er wieder guten Mutes und sogar bereit, ab und an einen Dankespsalm hinauszuposaunen.
»Eigentlich habe ich immer gerne Psalmen gesungen!«, rief er. »Ich meine: wenn schon arbeiten, dann wenigstens singend! Einzig, wenn ich in der Küche einen Teig kneten musste, durfte ich keine Psalmen singen. Der
Cellerar
meinte, solcherart würde aus meinem geöffneten Mund Speichel in den Teig fallen. Ich habe trotzdem gern den Teig geknetet, auch wenn ich nicht singen durfte, weil ich mir immerhin dann und wann einen Bissen abzwacken konnte …«
Balduin hatte manchmal nicht übel Lust, ihn gewaltsam zum Schweigen zu bringen. Er drosselte das Tempo um der Mitreisenden willen – doch das fiel ihm immer schwerer und stimmte ihn zunehmend gereizt. Hatten in den letzten Wochen all seine Sorgen der Hoffnung gegolten, sie überhaupt wohlbehalten nach Rom zu bringen, kam er nun schwer damit zurecht, nicht zu wissen, was sich in der Zwischenzeit zugetragen hatte: ob sich ihre Reise herumgesprochen hatte und was König Karl unternahm, ihren Ruf in Rom lange vor ihrer Ankunft zu zerstören. Er wollte Judith nicht so sehen, aber die anderen Frauen und der dicke Mönch deuchten ihn als Ballast. Heimlich malte er sich aus, er könnte dem Pferd die Sporen geben und so schnell reiten wie in der Zeit des Krieges. Nicht länger war die Erinnerung daran von Grauen und Blut durchtränkt, sondern von einem Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit.
Lange konnte er dieses Gefühl zügeln – bis zu einem Tag, da sie einer neuen Bedrohung Herr werden mussten.
Es war am späten Nachmittag, er hielt den Blick bereits müde zu Boden gesenkt und sah zu, wie sich die Hufe der Pferde in den erdigen Boden gruben. Selbst Wunibalds Geschnatter war irgendwie lustlos, und wenn es auch nicht vollends verstummte, so setzte er mehr und mehr Pausen.
Inmitten einer dieser schweigsamen Momente ertönte plötzlich ein zischender Laut. Erschrocken fuhren sie alle zusammen, unruhig blickte Balduin in sämtliche Richtungen, doch nichts in der Umgebung schien sich verändert zu haben. Die Baumwipfel des dichten Waldes erbebten im lauen Wind; zwischen ihren Stämmen ließen sich keine bedrohlichen Schatten erkennen. Balduin hob die Hand, um den Zug aufzuhalten, doch nachdem sie eine Weile stehen geblieben waren und kein weiteres verräterisches Geräusch ertönt war, nickte er zum Zeichen, dass sie weiterreiten könnten.
Doch kaum hob sein Pferd erneut das Bein, vernahm er ein zweites Mal den zischenden Laut, diesmal noch näher an seinem Kopf und von einem kalten Lufthauch begleitet. Unruhig wieherte das Pferd und blähte seine Nüstern. Balduin fuhr herum und sah nicht weit von sich einen Pfeil in einem der Baumstämme stecken.
Er reagierte instinktiv wie in Zeiten des Krieges, da sein Mund Befehle brüllte, noch ehe er sie ausreichend überdacht hatte.
»Runter von den Pferden!«
Die anderen waren vor Schreck wie erstarrt, doch da war er schon von seinem Tier gesprungen, zerrte Judith unsanft von dem ihren – im Aostatal hatten sie ein neues für sie besorgt – und stieß sie in den Schatten des schützenden Gesträuchs. ähnlich verfuhr er mit Johanna, die sich leblos wie eine Tote anfühlte. Noch ehe er Madalgis' Pferd erreichte, gingen neue Pfeile auf ihn herab. Er duckte sich gekonnt, um ihnen auszuweichen, und schaffte es, auch Madalgis in Sicherheit zu bringen. Unwillkürlich griff er nach einem Schild – und fand keinen. Er war kaum bewaffnet, trugnur sein Schwert, das gegen einen unsichtbaren Angreifer freilich nichts nützte. Erleichtert stellte er fest, dass Bruder
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