Das Geständnis der Amme
breitete sich tiefer Groll in Balduins Herzen aus. »Ich dachte, wir wollten nach Rom zum Papst und nicht nach Pavia zum König von Italien!«
Wieder traf ihn ihr kalter Blick.
»Ja, denkst du, wir haben eine Wahl?«, fuhr sie ihn an. »Ich musste alles daransetzen, um mit dem Kaiser selbst reden zu können. Oder was, glaubst du, hatte er vor? Wahrscheinlich uns in einen Kerker zu werfen oder – was noch schlimmer ist – uns meinem Vater als Geiseln auszuliefern! Wenn wir freilich als Gäste kommen …«
Sie brach ab, schüttelte lediglich verständnislos den Kopf darüber, dass er nicht selbst durchschaut hatte, was ihnen drohte und was sie – zumindest vorübergehend – von ihnen gewendet hatte. Sie straffte ihre Schultern, reckte ihr Kinn. Der weitere Ritt verlief schweigend.
Pavia war die
Urbs regia,
die Hauptstadt des Königreichs Italien, und eine ebenso prächtige wie lichte Stadt. Das Erste, was sie von ihr sahen, waren die vielen unbesiedelten Nutzgärten, die sie umgaben, dann den zweiten Mauerring, an dem eben gebaut wurde. Kaum hatten sie das Tor passiert, stießen sie auf ein unglaubliches Gewühle – und eine unglaubliche Farbenpracht. Pavia war eine rege Handelsstadt, und die fahrenden Kaufleute kamen aus sämtlichen Ländern der Erde: Sie brachten Weihrauch und Balsam aus Syrien, Elfenbein aus Indien oder Leder aus Cordoba. Die einen waren ganz in Schwarz gekleidet, andere in Weiß, und wieder andere trugen die Häute phönizischer Vögel, die mit Seide eingefasst und mit Pfauenhälsen samt den Rücken und gefiederten Bürzeln verziert waren. Verglichen mit dieser exzentrischen Kleidung fielen jene kaum auf, die im oft so graubraunen Frankenreich nicht minder starke Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätten: Männer in tyrischem Purpur mit zitronenfarbenen Streifen oder solche, die gänzlich in Hermelin gehüllt waren.
Die Seide stammte aus Bagdad – was zumindest einer der Kaufleute lauthals rief, der mehrere Ballen davon gleichzeitig hochhielt. Neben ihm saß ein Geldwechsler und pries nicht weniger überzeugend seine Leistungen an. Davor tollten die Hunde der Reichen um bettelnde Kinder – es war nicht klar, ob sie sie vertreiben sollten oder nur mit ihnen spielten.
Trotz der Fülle an Eindrücken schwiegen Balduin und Judith verbissen. Aus Bruder Wunibalds Gesicht hingegen war sein Unbehagen längst geflohen und er rief einige Male anerkennend »Ah!« und »Oh!«.
Die ungewöhnliche Kleidung der Menschen ließ ihn kalt, aber wie sich herausstellte, schien er sich am Anblick von kunstvoll errichteten Gebäuden ebenso zu delektieren wie an gutem Essen. Sein Schmatzen wirkte, als würde er an kulinarischen Köstlichkeiten kauen, als sie an San Michèle Maggiore vorbeikamen, einer im lombardischromanischen Stil errichteten Kirche, in der einst Judiths Urgroßvater Karl zum König der Langobarden gekrönt worden war.
Nicht weit davon entfernt befand sich die Kathedrale San Pietro – im Jahre des Herrn 604 an jener Stelle errichtet, wo einst der große Gelehrte Boëthius hingerichtet worden war.
»Ich war noch nie in Pavia, aber ich habe schon viel über die Stadt gehört!«, rief Wunibald aus. Es störte ihn nicht, dass seine Begeisterung nicht auf die anderen überschwappte und einzig Johanna ein Lächeln aufsetzte, was freilich nicht der Stadt galt, sondern der Feindseligkeit, die zwischen Judith und Balduin erwachsen war und sich immer höher zu ranken schien. Unaufgefordert begann Wunibald zu berichten, was er von der Stadt wusste: dass lange vor den Römerzeiten jene Gegend schon besiedelt und –als sie noch
Ticinum Papiae
hieß – als Garnison befestigt worden war. Mehrmals wurde sie zerstört, zunächst von den Ostgoten, später von Langobarden, doch anders als in Gallien, wo viele Ruinen brachlagen, hatte man hier sämtliche Trümmer, die von Zerstörung zeugen mochten, genutzt, um neue, prunkvolle Gebäude zu errichten.
»Und Kaiser Ludwig, der König von Italien?«, fragte Balduin schließlich missmutig. »Was weißt du, Mönch, über ihn?«
Dass er sich mit dieser Frage nicht an die eigene Frau richtete, die ihm über den Verwandten gewiss mehr hätte sagen können, verblüffte nicht nur Wunibald. Gleichwohl hungernd nach Schönheit senkte er bestürzt den Blick, als er gewahrte, wie Judith ihre rechte Braue hob – die einzige Reaktion.
Balduin ging darüber hinweg. »Also, was weißt du über ihn?«
»Nicht mehr, als dass er ein Sohn von König Lothar I. ist. Während
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