Das Geständnis der Amme
eingekreist wurden. Wie Gefangene …
Der Saal des Kaiserpalastes war prächtiger als alles, was Balduin bis dahin gesehen hatte. Das Licht spiegelte sich im Gold, sodass die Wände wie Wellen eines sonnengelben Meers wirkten.
Kaiser Ludwigs Züge glichen denen seines Bruders Lothar. Doch während in dessen Augen dann und wann der Schalk aufblitzte, rasch und unvermutet mit der Schwermut wechselnd, war Ludwigs Blick starr und kühl. Als er sie inmitten von Höflingen, gerüsteten Männern und jeder Menge schwarz gekleideter, tuschelnder Priester empfing, dachte Balduin noch, der ausdruckslose Gesichtsausdruck diene dem Zweck, sich Respekt zu schaffen. Doch auch später, als Ludwig sie zur vertraulichen Rede in sein
Tablinium
bat, regte sich nichts in seiner Miene, höchstens ein wenig Misstrauen und Feindseligkeit, aber auch das so leblos, als wären seine Gefühle nach jahrelanger Kontrolle in einem bestimmten Gesichtsausdruck stecken geblieben.
»Ich hoffe, du weißt, Cousine, in welche Schwierigkeiten du mich bringst«, setzte er an, und seine Stimme klang krächzend wie die eines Raubvogels. Er wandte ihnen den Rücken zu und begann auf- und abzuwandern – ähnlich wie es auch Lothar oft getan hatte, nur viel langsamer und steifer.
Balduin warf Judith einen fragenden Blick zu, in der Hoffnung, sie könne den Verwandten besser einschätzen, selbst, wenn sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Doch auch ohne seine Aufforderung hatte sie wohl bereits beschlossen, die Führung zu übernehmen. Als sie anfing zu sprechen, machte sie nicht den Eindruck, als hätte Kaiser Ludwig sie sonderlich eingeschüchtert.
»Du hättest uns doch einfach nicht beachten und in Frieden nach Rom ziehen lassen können, anstatt uns eine Truppe Soldaten nachzuschicken!«
Ludwig fuhr herum. »Und mir hinterher sagen lassen, ich wüsste nicht, was in meinem Reich vorgeht? Pah! Die Spatzenpfeifen von allen Dächern, was geschehen ist – da kannst du gewiss sein, liebste Cousine!«
»Und jetzt?«, gab sie unbeeindruckt zurück. »Was wirst du jetzt tun, nachdem du so freundlich warst, uns als … Gäste aufzunehmen?«
Die Miene des Königs hatte sich nicht verändert, aber seine Wangen erröteten. Als er nähertrat, gewahrte Balduin, dass er nicht einmal so groß wie Judith und in jedem Fall viel kleiner als er selbst war.
»Als Gäste!«, stieß er hervor. »Von wegen! Als Geiseln könnte ich euch gefangenhalten!«
»Gewiss doch«, sprach Judith schnell, »und uns teuer an deinen lieben Onkel Karl, meinen Vater, ausliefern. Soweit ich weiß, hasst der dich – so wie im übrigen jeden Mann, in dessen Adern das gleiche Blut fließt wie in den seinen, nämlich karolingisches. Doch dich hasst er vielleicht sogar ein bisschen mehr als den Rest, weil du obendrein die Kaiserkrone trägst. Die er selbst gern auf dem Haupte sitzen hätte. Aber du hast Recht. Wir beide, Balduin und ich, wären, so du ihm denn nicht diese Krone schickst, fürwahr auch ein schönes Geschenk an ihn.«
Balduin gewahrte, wie Ludwig nach Luft schnappte. Er selbst hatte sich an den spitzen Tonfall seiner Frau gewöhnen können, und es gefiel ihm insgeheim, dass sie auch einem anderen damit zusetzte.
»Wie redest du denn mit mir?«, stieß der König aus.
Judith trat einen Schritt auf ihn zu. Das erste Mal seit Wochen war ihr Gesicht nicht totenbleich, sondern leicht gerötet, und die Haut spannte sich nicht mehr fahl um ihre Backenknochen, sondern wirkte frisch und klar.
»Wenn du uns nicht als Gäste betrachtest, werter Cousin, so können wir uns das höfliche Geplänkel doch ersparen und zum Eigentlichen übergehen. Du betrachtest uns also als Geiseln, auch wenn das schäbig ist, weil wir uns schließlich freiwillig in deine Obhut begeben haben!«
»Von wegen! Gelogen hast du! Den Soldaten vorgemacht, ich hätte euch eingeladen und du wüsstest davon!«
Judith zuckte gelassen mit den Schultern. »Deine Soldaten sahen mir nicht so aus, als wüssten sie zu entscheiden, was sie mit uns machen sollten. Sei’s drum. Es spräche einiges dafür, uns meinem Vater auszuliefern. Gleichwohl – dies ist mein Rat an dich – würde ich es an deiner Stelle nicht für Geld tun, sondern lieber für die Provence. Nach dieser Provinz lechzt du doch auch, nicht wahr? Du wartest doch gewiss darauf, dass dein schwachsinniger Bruder Karl, der dort herrscht, den Geist aushaucht! Nun, dein Unglück ist, dass Lothar auch darauf wartet, was wiederum bedeutet, dass es dir
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