Das Geständnis der Amme
doch er war sich gewiss, dass auch hier Geschichten über seine Schlachten im nahen Flandern erzählt worden waren. Rorik hatte sich sicher über ihn kundig gemacht, ehe er ihn hierher eingeladen hatte.
»Der bin ich!«, erklärte er fest.
»König Rorik hat Euch und Eurem Gefolge ein Mahl bereiten lassen«, gab der Mönch zurück. »Er wird Euch nach Sonnenuntergang empfangen.«
Er schien damit zu rechnen, dass Balduin dies schweigend aufnehmen würde, denn er wandte sich ab. Doch Balduin rief ihm hinterher: »Es wundert mich, dass Rorik mich in diesem Dorf empfängt und nicht auf der Insel Wieringen, wo er doch ansonsten residiert.«
Der Mönch drehte sich um. »Für den Fall, dass Ihr als Feind und nicht als Verbündeter von ihm geht«, bekundete er schlicht, »solltet Ihr nichts kennengelernt haben, was ihm vertraut und lieb ist.«
»Wenn Ihr für mich sprecht, darf ich dann auch Euren Namen erfahren?«, fragte Balduin.
Dass er nicht einfach wortlos vom Pferd stieg, sorgte unter den Menschen für Verwirrung. Diesmal brandete nicht Raunen, sondern ein Gemurmel auf, das nicht mehr abriss. Einzelne Worte schienen ihm vertraut, doch er konnte nicht vollends verstehen, was man über ihn sagte.
»Ich bin Bruder Augustinus«, erklärte der Mönch, um dannzu Balduins Überraschung in Latein fortzufahren. Balduin hatte bereits zuvor der Behauptung, Rorik und seine Leute verstünden seine Sprache nicht, misstraut und es für ein Mittel gehalten, ihn später heimlich auszuhorchen, wenn er mit seinen Begleitern sprach. Dass Bruder Augustinus nun ins Lateinische wechselte, um vertraulich mit ihm zu sprechen, schien ihm Recht zu geben – denn anders als das Fränkische war dies die Sprache, die selbst in der
Gallia
nur die wenigsten beherrschten. Auch er tat sich schwer, dem Mönch zu folgen, war aber – dank Alpais' einstigem Unterricht – geschult genug, um den Sinn grob zu verstehen. »Ihr könnt mir trauen. Ich stamme aus einem Kloster bei Utrecht, der Stadt, in der der große Willibrord einst einen Bischofssitz errichtet und die Rorik später erobert hat. Der Bischof konnte damals nach Deventer fliehen, ich hingegen geriet in Gefangenschaft. Im Zweifelsfall werde ich immer auf der Seite eines guten Christenmenschen stehen, nicht auf der eines Barbaren. Und Barbaren sind sie … so wie der Rest des verfluchten Normannenpacks. Mögen sie sich auch haben taufen lassen.«
Jedes Wort, das er sagte, klang verächtlich. Doch weil sein grimmiger Blick allein auf Balduin gerichtet war, konnte man meinen, er beschimpfe ihn und nicht das Volk, bei dem er lebte.
Balduin nickte, um anzudeuten, dass er ihn verstanden hatte, und stieg schwungvoll vom Pferd, um dann Johanna von ihrem herunterzuhelfen.
»Rorik lässt dich warten?«, raunte sie misstrauisch. »Wie kann er es wagen!«
Balduin zuckte die Schultern. »Sogleich klarzustellen, wessen Rang der höhere ist, gehört zu seinem Plan. Mich gleichmütig darein zu fügen zu meinem.«
Schwer stand der Geruch von ranzigem Fett. Balduin war nicht sicher, was ihn verströmte: die ledernen Umhänge der Männer, die man mit Talg einrieb, um sie wasserdicht zu machen, oder fremdländische Gerichte, die nahrhaft sein mussten, um dem Leib in einer kalten Welt genügend Kraft zu verleihen.
Seine Augen gewöhnten sich nur schwer an das Dunkel. Es fehlten Kerzen und Fackeln an den Wänden; die Feuerstelle in der Mitte des Raumes – direkt unter der Dachluke – war die einzige, freilich ziemlich schwache Lichtquelle, denn darüber hing schwarzer Rauch. An die zwei Dutzend Männer standen oder hockten hier, und in der Menge vermochte Balduin nicht auszumachen, wer Rorik war. Auch das Verhalten von Bruder Augustinus half nicht weiter, denn jener blieb abwartend neben ihm stehen und senkte dann den Kopf, ohne sich irgendeinem der Männer im Besonderen zuzuwenden.
Balduin ließ sich die Unruhe, die ihn zunehmend erfasste, nicht anmerken. Wollte man seine Geduld auf die Probe stellen, wollte er sich in dieser Prüfung gern als standhaft beweisen.
Kaum merklich schweifte sein Blick durch den Raum. Schon beim Hereinkommen hatte er festgestellt, dass die Türe über Holzschwellen und schwere, genutete Türpfosten aus Eichenholz verfügte. Aus dem gleichen Holz bestand auch der Fußboden, der mit Binsen ausgelegt war. An den Wänden hingen Teppiche und an Eisenhaken befestigte Hängeregale mit Küchengeräten, Pferdegeschirr und Holzeimern. Der Herd war wie das Fundament des Hauses
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