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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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aus Stein errichtet. Darum herum standen niedrige Erdbänke. Die wenigen Möbel – ein großer Tisch und einige Stühle – waren mit Ornamentschmuck und Schnitzereien versehen, desgleichen der Webstuhl, die Truhen, Kisten und Betten.
    Ob König Rorik in seiner eigentlichen Residenz ähnlich lebte? Es wirkte nicht ärmlich, doch auch keinesfalls königlich, obwohl das Gebiet, über das er herrschte, riesig war: Es reichte von der Eider im Süden bis zum Flüsschen Wiedau im Norden. Allerdings, das hatte Balduin in den letzten Tagen bestätigt gefunden, war das Gebiet fast menschenleer, da im letzten halben Jahrhundert viele der Eingeborenen geflohen waren, nachdem die Dänen Friesland erobert hatten.
    Träge verrann Augenblick um Augenblick, bis sich schließlich im hinteren Winkel des langen Hauses etwas regte. Balduin bezwang sich, um nicht sogleich neugierig hinzusehen. Er wartete,bis der Schatten des Mannes unmittelbar auf ihn fiel, ehe er dessen Blick suchte. Es fiel ihm schwer, etwas darin zu lesen, denn auch das Gesicht war von der dicken Luft im Raum verschleiert. Weder die Farbe der Augen noch die des Haares, das unter einem runden Helm hervorquoll, vermochte er genau zu erkennen, nur die tiefen Furchen, die sich rechts und links des harten Mundes eingegraben hatten. Rorik war ohne Zweifel ein alter Mann, auch wenn er das mit entschlossenen Schritten und aufrechter Haltung zu verbergen suchte. Seine Stimme klang nicht frisch und lebendig, sondern rau – aber vielleicht war das auch der fremdländischen Sprache zuzuschreiben. Während er sprach, berührten seine Hände eine Kette aus Bernstein, die er um den Hals trug.
    Balduin erwartete, dass der erste Teil des Gesprächs dem Zwecke dienen würde, sich förmlich vorzustellen. Doch als Bruder Augustinus mit gleichmütiger Stimme übersetzte, gewahrte Balduin, dass Rorik darauf verzichtete.
    »Was ist Euch über mich bekannt?«, wollte er lediglich wissen.
    Balduin zögerte, wusste nicht, ob er schlicht die Wahrheit sagen sollte oder die Frage dazu gedacht war, ihn zur Ruhmesrede anzuspornen. Schließlich entschied er sich für Ersteres.
    »Ich weiß, dass Ihr mit dem Geschlecht der Karolinger nicht nur einmal einen Pakt geschlossen habt, um ihn dann zu brechen, sobald Euch dies nützlich erschien.«
    Nachdem Bruder Augustinus mit seiner Übersetzung geendigt hatte, ertönte ein raues Lachen. Es klang freudlos und müde.
    »Wie oft wirft man uns von Eurer Seite vor, dass Treue nicht zu unseren Tugenden gehört«, übersetzte Augustinus alsbald die Antwort. »Die Wahrheit ist, dass wir dem eigenen Stamm – wenngleich auch nicht dem eigenen Volk – niemals untreu werden würden. Bei Euch hingegen geraten Familien auch untereinander in Streit. Es ist richtig, ich wurde einst von Lothar I. – gleichwohl ich sein Feind war – belehnt, damit ich Friesland gegen weitere Eindringlinge aus dem Norden schützen würde. Doch er war's, der es mir wieder entzog, kaum dass er sich erstarkt genugwähnte, sein Land selbst zu vereinigen. Ist es tatsächlich Verrat, dass ich mich dann an seinen Bruder Ludovicus Germanicus gewandt habe, der Friesland lieber in meinen Händen wusste als in denen seines Verwandten?«
    »Trotz des Bündnisses mit Ludovicus habt Ihr Hamburg überfallen«, stellte Balduin fest.
    »Das war nicht ich, sondern ein anderer Stamm.«
    »In jedem Fall geschah's zu Euren Gunsten, oder nicht? Denn danach hat Lothar seine Lektion verstanden und Euch wieder ein paar Grafschaften überlassen.«
    Roriks Hände lösten sich erstmals von der Bernsteinkette. Sein Blick, der bislang starr auf Balduins Gesicht geruht hatte, wanderte über dessen Gestalt. »Ihr sagt dies, als wäre es eine Gnade«, antwortete er durch Augustinus' Mund. »Aber das ist es nicht. Mein Bruder Harald und ich hatten nach der Eroberung Frieslands den festen Willen, mit unseren fränkischen … Nachbarn in Frieden zu leben – und ich denke, dass diese fränkischen Nachbarn dafür hätten dankbar sein sollen.«
    Balduin ließ sich von Roriks Musterung nicht verunsichern, gleichwohl er immer angespannter wurde. »Etwa dankbar dafür, dass Ihr vor wenigen Jahren auch noch Bremen ausgeräuchert habt?«
    Rorik blickte wieder hoch, diesmal noch müder als zuvor. Als er antwortete, war seine Stimme kaum lauter als ein Krächzen. »Für wen, Graf Balduin, tretet Ihr eigentlich ein?«, fragte er zurück, ohne auf den Vorwurf einzugehen.
    »Für mich selbst.«
    »Nicht etwa für Euren König?

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