Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
Vom Netzwerk:
Noch mehr Schuld. Noch mehr Vergehen. Aber jetzt geh! Bitte, Balduin, geh zu ihr!«
    Wieder kämpfte er mit seiner Zerrissenheit, aber dann erhob er sich – freilich nicht, ohne ihren Körper behutsam auf den Boden zu betten und seinen Umhang unter ihren Kopf zu legen.
    »Geh!«, murrte sie wieder. »Geh … «
    »Ich … ich komme gleich zurück.«
    Sie hörte, sehr leise, fast wie das Tapsen einer Maus, die Schritte, die sich entfernten. Dann war sie wieder alleine mit sich und dem Gast, den sie geladen hatte und den sie als einzigen nicht fortschickte: den Tod.

Siebter Teil
Das Opfer
A.D. 863-864
    »König Karl hielt am 25. October
eine Synode in der Pfalz Verberie.
Seine Tochter Judith nahm er auf die Bitte des
apostolischen Herrn in Frieden wieder auf.«
    Aus den Annalen von Saint-Bertin

----
XXXV. Kapitel
----
    Als sie dem Ziel ihrer Reise näherkamen, wappnete sich Johanna gegen die Feindseligkeit, die sie hier erwarten würde. Immer verkrampfter wurde der Griff um die Zügel des Pferdes, immer fester der Druck, mit dem sie sämtliche Glieder aneinanderpresste, als könnte sie sich solcherart möglichst klein und unsichtbar machen. Mit ähnlicher Todesverachtung wie Balduin, als er einst seinen Ruhm als Krieger begründet hatte, war sie von Laon weggeritten, und auch jetzt geriet ihre Entschlossenheit nicht ins Zaudern. Aber sie konnte sich keinen Augenblick lang des Eindrucks erwehren, dass sie dem Höllenschlund entgegenritt, ja, rechnete jeden Moment damit, dass das Antlitz der Welt bald von ihm künden würde. Unmöglich, dass dieses Land auch nur einen Hauch jener Lieblichkeit atmete, in der der weiche Frühsommer die Wiesen, Wälder und Weinberge rund um Laon tauchte. Die Farben würden vielmehr verlöschen, die warme Erde würde zu Kratern aufgerissen, der Himmel gewittern und dunkle Wolken jagen, und der Geruch nach Blumen und Kräutern würde vom Gestank verschluckt, den die Feinde verströmten.
    Ja, dagegen wappnete sie sich, das erwartete sie auch – ganz gleich, ob sie nun Balduins Plan duldete oder nicht. Doch irgendwann, als Stunde um Stunde, Tag um Tag vergingen und sie längst ins gefährliche Grenzland gekommen waren, gewahrte sie, dass nur sie selbst sich immer mehr verkrampfte, nicht aber die Natur. Sie merkte, dass zwar sie die eigenen Sinne zügelte, das Leben um sie herum sich jedoch als leichtfertig und verschwenderisch erwies. Weder sparte die Sonne an ihren reichen Gabennoch der Wind an seinem zügellosen Tanz. Mochte sie auch das Gefühl haben, am Ende dieser Reise stünde Leben oder Tod, aber nichts dazwischen – die Schöpfung rüstete sich zum Sonnwendfest.
    »Woher weißt du«, fragte sie einmal in Balduins Richtung, weil sie ihm – gleichwohl er in Gedanken versunken war – die Unbefangenheit nicht recht glauben wollte, die er nach außen hin an den Tag legte, »woher weißt du, dass Rorik dir nicht eine Falle stellt? Was ist, wenn wir seinen Hof gar nicht erst erreichen und schon früher … ermordet werden?«
    Sie ließ keine Furcht erkennen, eher Trotz, als würde, wenn dieser schlimmste Fall einträfe und hinter dem Gebüsch die Feinde lauerten, um sie zu zerfleischen, ihr neben all dem Grauen auch die Befriedigung geschenkt, dass sie mit ihren Erwartungen Recht behielte.
    »Rorik nützt mein Tod nichts«, gab Balduin zurück. »Solange ich lebe, kann ich ihm aber dienlich sein.«
    Er zuckte die Schultern, als wäre die Sache damit erledigt. Hilfesuchend blickte sich Johanna zu ihren Begleitern um, einem Knaben, der mitreiste, um die Pferde zu versorgen, und einem Sohn von Gerolds Verwandten, der in Laon die Kriegskunst lernte, so wie es einst Balduin unter Arbogast getan hatte. Wenigstens diese beiden, dachte Johanna, hassen und verfluchen dieses Land wie ich, wenigstens diese beiden …
    Doch als sie in die Miene der Burschen blickte, stieß sie auf nichts dergleichen. Der eine war froh, für einige Tage der harten Stallarbeit entkommen zu sein und endlich selbst reiten zu dürfen. Der andere hingegen strahlte über das ganze Gesicht, weil er noch nie so weit in die Fremde geritten war und sich gewiss schon ausmalte, wie er bald davon prahlen dürfte.
    Sie war die Einzige, die verkniffen auf das Schlimmste wartete und schließlich selbst von der Landschaft verspottet wurde, die ihr Misstrauen für zu lächerlich befand, um ihr etwas entgegenzusetzen: Als sie am dritten Tag ihrer Reise in die Nähe des Meeres kamen, erwarteten sie dort weder Berge noch Hügel noch

Weitere Kostenlose Bücher