Das Geständnis der Amme
Schließlich seid Ihr mit seiner Tochter verheiratet.«
»Ihr wisst genau, dass dies der Grund dafür ist, warum ich hier bin«, entgegnete Balduin fest.
Dass er ihn nicht leicht zermürben konnte, schien Rorik zu gefallen. Seine Gesichtszüge wirkten wie eingeschlafen, doch in seinen Augen blitzte es erstmals auf. Vielleicht kam das aber auch nur davon, weil die Luft klarer zu werden schien.
»Richtig«, übersetzte Augustinus die Worte seines Königs. »Ihr seid in derselben Lage wie ich. Auch Euch hat man das Lehen entzogen – wie schon des Öfteren mir. Mit dem Unterschied, dass meine Macht und mein Besitz nicht davon erschüttert werden, dass irgendein ferner Karolinger glaubt, mir den Kampf ansagen zu müssen. Ihr hingegen scheint alles verloren zu haben.«
Die restlichen Männer waren bisher ebenso erstarrt gestanden wie ihr König. Nun fühlte Balduin, wie sie sich gegenseitig angespannte Blicke zuwarfen – wohl zum Zeichen, dass nun das Gespräch auf seinen Höhepunkt zusteuerte.
»Nicht meinen Mut und nicht meinen Kampfgeist«, entgegnete Balduin.
»Werdet Ihr beides in meine Dienste stellen?«, fragte Rorik.
»Was soll ich für Euch tun?«, fragte Balduin zurück.
Seine Stimme zitterte, doch Rorik schien es nicht bemerkt zu haben. Der König wandte sich langsam von ihm ab.
»Dorestad«, warf er ihm über den Rücken zu. Balduin verstand den Namen der Stadt auch ohne Augustinus' Übersetzung. »Ich möchte, dass Ihr Dorestad für mich einnehmt. Die dortigen fränkischen Kaufleute haben doch tatsächlich geglaubt, sie könnten den Kampf gegen mich aufnehmen und die Steuer, die sie mir schulden, unterschlagen.«
Balduin nickte. Er wusste, dass Dorestad eine bedeutende Münzprägestätte war, die seit langem Widerstand gegen die dänischen Besatzer leistete.
»Sie ist in diesem Jahr vom Rhein überflutet worden«, fuhr Rorik fort. »Doch auch danach – ich bot sogar meine Unterstützung an – unterwarfen sich die aufrührerischen Kaufleute nicht. Sie haben sich in der Stadt verschanzt, eine kleine Festung errichtet. Ich habe keine Lust, sie zu belagern. Tut Ihr es für mich, führt eine Truppe meiner Männer an, die ich Euch zu diesem Zwecke überlasse … und Dorestad sei fortan Euer.«
»Und wenn nicht?«
Rorik zuckte die Schultern. »Dann wird es mich zwar etwas Anstrengung kosten, die ich eigentlich nicht verschwenden will,aber dann werde ich Dorestad eben selbst erobern. Mit dem Unterschied, dass ich die Stadt danach ausräuchern, dem Erdboden gleichmachen und nie wieder neu erbauen lasse. Verräter werden doch auch in Eurem Lande streng bestraft, oder nicht?«
Balduin schwieg.
»Ihr müsst erst darüber nachdenken?«, fragte Rorik, und seine Stimme klang ungeduldig. »Ich dachte, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid, sei ein Zeichen dafür, dass Ihr Euch längst entschieden habt …«
»Ihr habt bis Sonnenuntergang gewartet, mich vorzuladen«, gab Balduin kühl zurück und blickte nicht Rorik an, sondern Bruder Augustinus, der sichtlich Freude daran fand, diese Worte zu übersetzen. »Nun müsst Ihr bis Sonnenaufgang warten, bis ich Euch meine Entscheidung kundtue.«
Seit ihrer Ankunft war Johanna keinen Augenblick stillgestanden. Nachdem den fremden Ankömmlingen anfangs sämtliche Blicke gegolten hatten, verloren die Menschen ihr Interesse, kaum war Balduin in Roriks Haus verschwunden. Man bot Johanna und den beiden Begleitern nichts zu essen an, ebenso wenig einen Platz, um sich auszuruhen, aber man belästigte sie auch nicht. Der Pferdeknecht konnte sich ungestört um die Tiere kümmern, und der andere trat unbehelligt an die Seite eines Schmieds, der auch nach Sonnenuntergang nicht von seinem Tagwerk lassen wollte, um ihn zu beobachten. Er war gerade damit beschäftigt, in einem Tiegel aus gebranntem Lehm Bronze zu schmelzen und später feine kleine Platten davon in einen kostbaren Helm einzuarbeiten. Die rötlich braune Masse leuchtete im Dunkeln, und auch Johanna konnte nicht umhin, einen faszinierten Blick zu wagen.
Sie verharrte freilich nicht lange genug, um zu sehen, wie der Mann seine Arbeit zu Ende brachte. Ähnlich wie auf der Reise hierher, da sie sich von dem fremden Land bedroht gefühlt und angenommen hatte, bald der Hölle anheimzufallen, wartete sie auch jetzt nur darauf, dass diese Menschen schließlich ihrwahres, grausames Gesicht zeigten und sich im friedlichen Dorf ein Abgrund aus Gewalt und Grausamkeit auftun würde. Dass nichts dergleichen geschah,
Weitere Kostenlose Bücher