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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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tat es schließlich, indem er uns zusammenführte.«
    »Aber … aber du liebst doch deinen Bruder. Und sein kleiner Sohn Ludwig ist bezaubernd!«
    Gereizt verdrehte Judith die Augen, wenngleich sie zumindestZweiteres nicht abstreiten konnte. Der kleine Ludwig – nicht nach seinem Großvater benannt, sondern nach seinem Vater, was allen Sitten des Landes widersprach und wohl das Einzige war, womit Ludwig dem König noch trotzen konnte –, nun, der kleine Ludwig hatte nichts mit seinen Eltern gemein: Weder verunstalteten große Glupschaugen wie die seines Vaters das Gesicht noch hervorstehende Zähne wie die seiner Mutter. Mit wachem, blauem Blick und kräftigem rotbraunem Haar erforschte er die Welt mit der Neugierde, Dreistigkeit und Furchtlosigkeit eines Einjährigen – und Judith konnte sich der Rührung nicht erwehren, wenn sie ihm dabei zusah. Nicht das Kindliche ergriff sie, jedoch das Unschuldige, Reine. Jene Macht, die Wunden nicht schließt, weil sie sie heilen kann, sondern weil sie sie einfach nicht wahrnimmt.
    »Nun komm in den Saal«, forderte Judith Ovida auf. »Setz dich an den Tisch und lass die Mägde die Arbeit tun. Sieh dir doch Ludwigs verhärmtes Gesicht an! Er wird nicht merken, was er isst. Und achte darauf, wie oft Ansgard ihren Blick hebt! Nämlich so gut wie nie! Sie hat in den Jahren ihrer Ehe nichts von ihrer Schüchternheit abgelegt, und magst du auch glauben, sie sei von höherem Rang als du – nun, das kann sich schnell ändern.«
    »Du meinst, Ludwig könnte sie auf Wunsch des Königs verstoßen?«
    Trotz des geschäftigen Tagwerks war Ovida offenbar nichts von dem Klatsch entgangen, der sich am Prinzenpaar entzündet hatte.
    »Ludwig hat Ansgard gegen König Karls Willen geheiratet«, erklärte Judith resigniert. »Der König hat das immer als Akt der Auflehnung verstanden. Noch mag sich Ludwig dagegen wehren. Doch über kurz oder lang wird der König ihm eine Braut zuführen, die einer ihm treuen Familie entstammt.«
    »Aber er kann doch nicht einfach über Ludwigs Kopf hinweg …«, setzte Ovida betroffen an.
    »Er wird ihn nicht ewig in Meaux halten. Vielleicht wird er ihn zurück nach Neustrien holen, vielleicht wird er ihn sogar zum König von Aquitanien machen. Doch ob er ihn auch tatsächlichregieren lässt, ihm gar den Königstitel verleiht, das bezweifle ich.«
    Noch redend hatte Judith sich von Ovida abgewandt. Nun kehrte sie zurück an die Tafel, wo sie wieder den Platz neben Ludwig einnahm. Wenn sie nicht zugegen war, sprach Ludwig kaum ein Wort. Immer noch schien er Ansgard aufrichtig zugetan zu sein, und er war auch der Einzige, dem sie dann und wann ein Lächeln schenkte. Doch Worte machten sie nicht viel. Gerold wiederum hatte er von Anfang an mit Missachtung gestraft, vielleicht, weil jener viel zu unwichtig war, um Höflichkeit an ihn zu verschwenden. Vielleicht auch, weil er vor Fremden sein Stottern verbergen wollte, das eher schlimmer als besser geworden war. Nur mit Bruder Ambrosius hatte er gesprochen – über die neuesten Schriften des Philosophen Johannes Eriugena, der hier in Laon eine Schule begründet hatte.
    Als Judith neben ihm Platz nahm, blickte Ludwig kurz auf.
    »I-i-i-immer noch keine Na-Na-Nachricht von deinem lieben G-G-G-Gatten?«, stichelte er. »Mich w-w-w-wundert, dass Ba-Ba-Balduin sich von Laon fernhält, nun, w-w-wo er es endlich geschafft hat, sich den König gefügig zu stimmen. Hast du ihm dazu ge-ge-geraten?«
    »Nein«, sagte Judith schnell, »offenbar hat König Rorik ihm von sich aus ein Angebot gemacht. Aber ich hätte Balduin darin bestärkt, ihn aufzusuchen und dies möglichst laut vor aller Welt zu bekunden. Noch schlimmer als eine aufrührerische Tochter, die eine unstandesgemäße Ehe schließt, ist ein normannischer König, der sich mit einem Franken verbündet und ihn für sich seine Kriege führen lässt.«
    »Nun, das ist jetzt w-w-w-wohl nichtig, da der K-K-König euch doch beide als seine lieben K-K-Kinder an den Hof bittet.«
    Ludwig umkrampfte seinen Weinkelch. Wann immer seine Bitterkeit Judith traf, verstand sie ihn, war manchmal sogar geneigt, ihm ihren Trost auszusprechen. Doch stets unterließ sie es, tiefer in ihn zu dringen, wollte nicht in der Ohnmacht eines Mannes wühlen, dem nie die rechten Mittel zur Verfügung gestanden hatten,sich einen würdigen Platz zu erobern. Genau genommen hatte er nie geglaubt, dass jener Platz ihm zustünde, und das war wohl das Bitterste für ihn: nicht nur, gescheitert zu

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