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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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leid, dachte er, es tut mir so leid, Johanna …
     
    Sie fanden die Stätte des Kampfes am nächsten Tag. Gerold hatte nichts unversucht gelassen, um Balduin aufzuspüren, dochdie Hoffnung, er könnte heil und am Leben sein, zerschlug sich früher als erwartet.
    Er und seine Männer hatten ihn aus der Ferne schreien gehört, auf diese wilde, unbeherrschte Weise. Der Schrei war ihnen durch Mark und Bein gegangen, und als er verklungen war – nein, eigentlich abgerissen wie ein Faden –, da wussten sie, dass er entweder tot oder in höchster Lebensgefahr war.
    Seitdem durchkämmten sie den Wald, suchten in der Erde nach Spuren – und fanden schließlich nicht nur diese, sondern auch einen abgebrochenen Pfeil.
    Einer der Männer hatte darauf gedeutet – und Gerold war als Erster vom Pferd gestiegen, um ihn aufzuheben. Kein erklärendes Wort war notwendig, um zu erkennen, was hier geschehen war.
    Gerold seufzte. Er war erstaunt, wie tief der Kummer grub. Zwei Brüder hatte er verloren, den einen an den Tod, den anderen an das Kloster, und beides hatte ihn gelehrt, dass Waffengefährten niemals Freunde sein sollten.
    »Vergesst es nie«, hatte Arbogast stets eindringlich gemahnt. »Wenn euer Bruder neben euch fällt, müsst ihr kalt genug sein, um weiterzukämpfen.«
    Nein, er war ihm kein Bruder, nicht einmal ein Freund gewesen, aber es erschütterte ihn tief, dass Balduin der Erste aus ihrem Reigen war, der es nicht nach Hause schaffen würde.
    Wie soll ich es meinem Oheim nur erklären?, dachte Gerold voller Unbehagen.
    »Sollen wir weitersuchen?«, fragte einer der Männer. »Vielleicht haben sie ihn nur …«
    Gerold schüttelte entschieden den Kopf, und der andere schwieg. Er deutete auf die dunklen Flecken, die in den Waldboden gesickert waren – Blut.
    »Jemand muss nach Laon reiten und es ihnen … sagen.«

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VI. Kapitel
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    Als Balduin erwachte, sah er in das Gesicht eines Engels. Er hatte noch nie einen Knaben von solcher Schönheit und Anmut gesehen; die blonden Locken waren sanft gewellt, das Gesicht von milchiger Blässe, die Augen meeresblau. Das Geschöpf deuchte ihn nicht irdisch, was nur bedeuten konnte, dass auch er selbst alles Weltliche abgestreift hatte, den Schmutz, die Angst, den Schmerz, um ins jenseitige Reich einzugehen, wo die unsterbliche Seele die Fesseln des Todes sprengt. Es ist so leicht zu sterben, stellte er verwundert fest. Ihm fehlte jegliche Trauer über ein zu früh vergangenes Leben. Da war nur diese angenehme, matte Schwere, mit der er dalag, in das Antlitz dieses Engels versunken, und alles über sich ergehen ließ, sich nicht regen wollte, nie wieder …
    Doch dann antwortete er plötzlich mit einer unvermittelten Bewegung auf die sanfte Berührung des Engels, und jene machte ihm deutlich, dass er dem Körper noch nicht entflohen war; ein Schmerz zuckte durch seinen Arm, erinnerte an seinen Irrweg durch den Wald und wie dieser zu Ende gegangen war.
    Ich bin nicht tot, stellte er fest, während er stöhnend die Zähne aufeinanderbiss. Er war sich nicht sicher, ob ihm dies leidtun oder ihn erleichtert stimmen sollte.
    Ich bin nicht tot, dachte er, aber in Sicherheit, zumindest das. Der blondgelockte Knabe versuchte den Schmerz in seinem Arm nicht zu vergrößern, sondern ihn zu lindern, indem er behutsam eine grünliche, übelriechende Paste auf die verletzte Stelle auftrug. Balduin konnte nicht erkennen, ob sein Knochen gebrochen,lediglich das Fleisch aufgerissen war oder beides. Er war zu schwach, den Kopf zu heben, gewahrte nur mehr, ehe er die Augen wieder schloss, dass er sich nicht länger im Freien befand, sondern im Inneren einer Hütte. Der Schmerz nahm ab und mit ihm der Drang, sich umzusehen. Die Schwärze, die ihn umgab, kaum dass er die Augen wieder gesenkt hatte, hieß ihn nur allzu schnell und besitzergreifend willkommen.
     
    Beim zweiten Mal wurde er von Gerüchen geweckt.
    Rauch war da, viel Rauch, beißend, erstickend. Er begann im Schlaf zu husten und erwachte von diesem japsenden, röchelnden Laut. Diesmal konnte er sich ohne Mühe aufrichten, und obwohl sein schmerzender Arm wieder protestierte, blieb er sitzen, anstatt sich zurück auf sein Lager fallen zu lassen. Es war nicht nur der Rauch, der stank, sondern auch das Öl einer Lampe, das ranzig geworden war. Vielleicht war es auch eines, das aus Fisch gewonnen wurde und unangenehmer roch als das aus Nüssen und Mohn, wie man es in Laon verwendete.
    Wo bin ich?, ging es ihm durch den Kopf,

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