Das Geständnis der Amme
als Balduins Toben sich nicht beschwichtigte, begann er zu reden. Mit jedem Wort, das er sagte, mit jeder Silbe erstarrte Balduin ein wenig mehr. Der Schweiß versiegte, sein Gesicht wurde fahl. Er verstand die Sprache nicht, es war weder die
Lingua romana
noch die
Lingua rustica,
wie sie im Frankenreich gesprochen wurden, noch hatte sie ähnlichkeiten mit irgendeinem Dialekt, den er je vernommen hatte. Das wiederum konnte nur eines bedeuten.
Der Knabe deutete auf sich. »Eyvindr«, sagte er und wieder: »Eyvindr.«
Offenbar war es sein Name – und es war kein Name, wie er auf fränkischem Gebiet gebräuchlich war. Balduin starrte in das Gesicht des Knaben, und das, was ihn zuvor noch das Antlitz eines Engels gedeucht hatte, wurde zur Fratze des Todes.
In den nächsten Stunden flüchtete sich Balduin in einen Dämmerschlaf, um Furcht, Ohnmacht und Schmerzen zu entgehen. Der erschöpfte Körper fügte sich dem gerne, nur der aufgewühlte Geist ließ nicht zu, dass er sonderlich tief schlief. Immer wieder schreckte er stöhnend auf, von der Erkenntnis gejagt, dass entgegen erster Erleichterung die schlimmste Befürchtung wahr geworden war: Er war den Normannen in die Hände gefallen; sein Schicksal war dem schlimmsten aller Feinde anheimgegeben.
Als er endlich wieder zu sich kam, war es in der Hütte noch düsterer als zuvor. Zwar brannte unter den dicken Rauchschwaden immer noch knisternd das rötliche Feuer, aber die Ritzen im Weidengeflecht und zwischen den einzelnen Holzstämmen gaben nicht wie zuvor den Blick auf grauen Himmel frei, sondern nur mehr auf Schwärze.
Es war Nacht, heute würde er wohl nicht mehr sterben.
Dass der blondlockige Knabe sich ihm bisher so fürsorglich zugewandt hatte, beschwichtigte ihn keineswegs. Sicher sollte er nur darum zu Kräften kommen, auf dass ihm Gleiches geschähe wie allen anderen Opfern der Normannen: Starben sie nicht in der Schlacht, wurden sie erdrosselt oder an Bäumen aufgeknüpft. Von einigen wenigen hieß es, dass sie versklavt worden seien, doch ob dies als Gnade zu gelten habe, war zu bezweifeln. Vielleicht dienten sie nur dazu, den heidnischen Göttern geopfert zu werden, denn schließlich war von jenen gottlosen Heiden bekannt, dass sie ebensolches taten und anschließend gar Menschenfleisch verzehrten.
Balduins Blick gewöhnte sich an die Dunkelheit. Der blonde Engel, der immer noch in seiner Nähe hockte, sah nicht aus, als hätte er sich jemals an solch grausamen Zeremonien beteiligt. In ein Mönchsgewand gesteckt, hätte man ihn wohl für außergewohnlichfromm, gar heilig gehalten. Etwas an ihm erschien Balduin, trotz des Wissens um seine Herkunft, sonderbar licht und weich, so als würde er nicht auf der Erde schreiten, sondern flöge darüber. Als Bauern hätte er ihn sich noch vorstellen können – obwohl ja auch deren kleine Kinder anstrengende Arbeiten zu verrichten hatten und auf ihre zarten Glieder selten Rücksicht genommen wurde –, aber unmöglich war es, sich ihn mit einer Waffe zu denken. Seine Hände sahen nicht aus, als hätten sie jemals gemordet. Balduin blickte unwillkürlich auf die eigenen –auch jene waren noch rein von Blut. Nie hatte er sich darüber Gedanken gemacht, wie es sich anfühlen würde, ein Menschenleben auszulöschen. Die Priester hatten immer wieder gesagt, dass die Normannen zwar eine Geißel Gottes waren, folglich sein Werkzeug, um die Menschen im Reich von Karl dem Kahlen zu züchtigen, aber sie waren keine getauften Christen und darum nicht mehr wert als Tiere.
Der blonde Engel hatte so gar nichts von einem Tier. Seine Worte hatten zwar fremd geklungen, aber er hatte sie sorgsam ausgesprochen. Johanna hingegen hatte ihm erzählt, Normannen würden nicht reden, sondern nur knurren und keuchen und bellen und schnattern. Entweder hatte Johanna gelogen – oder sie kannte die Normannen nicht, zumindest nicht in Gestalt dieses blonden Knaben.
In diesem Augenblick drehte sich Eyvindr um und musterte Balduin mit seinem klaren, aber ausdruckslosen Blick. Als er sah, dass sein Patient wieder wach war, trat er zu einem Kasten aus Eichenholz, den Balduin erst jetzt sah, öffnete ihn und nahm ein kleines, rundes Holzschälchen heraus. Er füllte es mit etwas, das neben der Feuerstelle lag – Balduin konnte es nicht genau sehen –, und begann dann, die verschiedenen Zutaten mit einem Mörser zu zerstampfen. Der Mörser war glatt und von einem gelblichen Weiß, wahrscheinlich aus Elfenbein gefertigt. Balduin hatte
Weitere Kostenlose Bücher