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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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nicht gewusst, dass die Normannen solche Gerätschaften besaßen. Waffen, das schon, aber ansonsten hatte er sich immer vorgestellt, dass sie nicht nur wie Tiere sprachen, sondern auch wie solchehausten, auf Bäumen oder in Höhlen, nicht in Holzhütten. Er war sich auch sicher gewesen, dass sie nicht kochten und brieten, sondern Fleisch und die Früchte des Waldes roh aßen.
    Er musterte die Kleidung des Knaben. Um die Schultern trug er ein dunkles, sehr glattes Fell, das auf den ersten Blick eher einem Stück Ziegenleder glich. Balduin überlegte, von welchem Tier es stammen konnte, ganz gewiss nicht vom Fuchs oder Marder, wie es in seiner Heimat viele Männer trugen; vielleicht von einem Tier, wie es sie nur hoch droben im Norden gab? Darunter trug der Knabe ein Unterkleid aus weichem Leinen. Sein Umhang wurde von einer Nadel gehalten, die in der Mitte ein kleines Loch aufwies, durch das eine am Umhang befestigte Kordel gezogen war.
    Alles in allem war dies zwar eine fremd aussehende Tracht, doch sie unterschied sich nicht grundlegend von der fränkischen.
    Über dem Beobachten vergaß Balduin beinahe seine Angst. Als der blonde Engel zu ihm trat und wieder etwas von dieser grünlichen Paste, die er gerade hergestellt hatte, auf seinen Oberarm tupfte, konnte er sich der Fragen nicht enthalten. Nicht nur, dass er etwas über sein eigenes Geschick erfahren wollte, das ihm bevorstand – plötzlich drängte es ihn auch, mehr von diesem fremden Volk zu wissen.
    »Wo sind wir? Wohin habt ihr mich gebracht? Sind wir in der Nähe des nördlichen Meeres? Sind wir in einem eurer Dörfer, wo sind die anderen Bewohner?«
    Zunächst regte sich nichts im Gesicht des Knaben. Balduin befürchtete schon, der Junge verstünde tatsächlich kein einziges Wort seiner Sprache. Doch zu seinem großen Erstaunen runzelte dieser die Stirn, schien angestrengt nachzudenken und brachte schließlich hervor: »Ich Eyvindr. Du … Name?«
    Balduin zuckte zusammen. Er zögerte, ihm zu antworten, denn er ahnte, dass es ihm danach endgültig unmöglich wäre, den Jungen als Tier zu betrachten, als Teil eines blutrünstigen Volkes, das, meist auf seinen schrecklichen Drachenschiffen kommend, nur Unheil, Tod und Vernichtung brachte.
    »Du, Name?«, murmelte Eyvindr wieder.
    Die Drachenschiffe, ging es Balduin durch den Kopf. Wenn sie die Fähigkeit besaßen, solche Schiffe zu bauen und solche kunstvoll geschnitzten Drachenköpfe anzufertigen, dann war dies doch auch ein Zeichen dafür, dass sie keine Tiere waren, sondern Menschen mit Verstand, Tatkraft und einem Sinn für das Schöne. Warum war er früher nie auf diese Idee gekommen?
    »Mein Name ist Balduin«, sagte er.
     
    Nach einigen Tagen, in denen man ihn in Ruhe gelassen und nicht zur befürchteten Hinrichtung gezerrt hatte, war seine Wunde ausreichend geheilt, und Balduin konnte endlich aufstehen und die Hütte verlassen. Er rechnete zunächst damit, dass Eyvindr es ihm nicht gestatten würde, denn so umsichtig er von jenem auch umsorgt wurde, er fühlte sich doch als dessen Gefangener. Der blonde Engel aber stellte sich ihm nicht entgegen, sondern verharrte lediglich an seiner Seite, als er hinaus an die frische Luft trat und sich vom Tageslicht wie erschlagen fühlte. Die Sonne war nicht sichtbar. Milchig weiß und glatt spannte sich das Himmelstuch. Balduin roch, dass es geregnet hatte; das bekundeten auch die tiefen Furchen, die vielerlei Schritte im matschigen Boden hinterlassen hatten. Bislang war er sich nicht sicher gewesen, wohin es ihn verschlagen hatte. Nun stellte sich heraus, dass es ein Dorf war, das jenen der fränkischen Bauern glich. Mehrere längliche Holzhäuser, teils mit ästen, teils mit Schilf bedacht, waren um einen kreisrunden Platz errichtet. Er witterte den strengen Geruch von Schafen und Ziegen und ebenso den salzigen des Meeres.
    Er blickte umher und sah, dass die Landschaft dicht bewaldet und flach war. Die Hügel, die die Wiesen und Felder rund um Laon in sanfte Wellen warfen, fehlten hier.
    Fieberhaft suchte er in seiner Erinnerung nach etwas, was ihm ein Anhaltspunkt für seinen Aufenthaltsort sein konnte. Wir könnten im Land der Friesen sein, das vor einigen Jahren von den Normannen besetzt worden ist, dachte er.
    Obwohl keiner etwas Genaues darüber wusste, ging das Gerücht, dass die Normannen nicht ein Volk waren, sondern aus unterschiedlichen Ländern des Nordens kamen. Von jenen, die sich in friesischem Gebiet niedergelassen hatten, wusste man am

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