Das Geständnis der Amme
und der König hatte weder Zeit noch Kräfte für die Normannen. Wie es weiterging, das weiß ich nicht. Wir haben von all den Kämpfen nichts mitbekommen. Sie hatten Balduin in den Norden verschleppt.«
Die Worte gerieten in Graf Roberts Kopf zu einem Summen.
Du warst doch immer mein Sohn, dachte der Graf erschöpft, viel mehr als der von Audacer …
Dritter Teil
Die Königin
A.D. 861-862
»Wenn ich mich niederlege, bist Du in meinem Herzen,
wenn ich schlafe, träume ich immer von Dir …«
Aus einem Liebesbrief des 9. Jahrhunderts
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VIII. Kapitel
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Unruhig schritt Johanna den Gang auf und ab. Sie wusste mittlerweile, dass es sinnlos war, auf eine Besserung von Balduins Zustand zu warten, aber sie war jeder Gelassenheit beraubt, um ihn allein zu lassen und sich mit ganzem Herzen einer anderen Tätigkeit zu widmen. Seit Tagen blieb er nun im Bett verkrochen, bleich und regungslos, verweigerte die Speisen ebenso wie das Trinken. Wahrscheinlich wäre er verdurstet, hätte sie ihm nicht dann und wann ein wenig verdünnten Brombeerwein eingeträufelt. Er ließ es über sich ergehen, doch er scherte sich nicht darum, wenn ihm das Gesöff über das Kinn tropfte und rot wie Blut sein Hemd befleckte.
Sie ertrug es immer weniger. Wenn sie in seine Augen sah und dort auf nichts anderes stieß als Leere und Tod, war ihr, als würde sie in einen Brunnen starren, der zu tief und schwarz war, als dass man seinen grauenvollen Grund erblicken konnte – und zunehmend hatte sie das Gefühl, hineinzufallen und rettungslos verloren zu sein, wenn sie nicht rechtzeitig zurückträte.
Sobald sie jedoch aus Balduins Gemach floh, schien eine unsichtbare Hand sie aufzuhalten. In der Küche oder in den anderen Wirtschaftsgebäuden auf eine Besserung seines Zustandes zu warten war ebenso unerträglich, wie bei ihm zu sein. Sie hätte ihn verfluchen mögen, weil er sich nicht zusammenriss und sie zur Gefangenen seines kranken Gemüts machte – und verging zugleich vor Angst, seine Unlust zu leben könnte so weit gehen, dass er irgendwann zu atmen aufhörte.
Der Graf war ihr keine Hilfe.
»Es muss etwas geschehen, so kann es nicht weitergehen!«, hatte sie ihn bedrängt.
Doch Robert hatte sie nur hilflos angeblickt und auf Geduld gesetzt. »Jeder Mensch trauert auf seine Weise«, hatte er erklärt. »Es braucht Zeit, um sich mit dem Verlust abzufinden.«
Johanna hatte den Kopf geschüttelt. Auch wenn sie ihm nicht widersprach, war sie sich sicher, dass es nicht die Trauer um Audacer war, die Balduin in diesen Zustand der Schwermut, der Hoffnungslosigkeit, der lautlosen Verzweiflung getrieben hatte. Es war etwas anderes, was diese stummen Qualen begründete, etwas, worüber er vielleicht reden sollte, auf dass es endlich ausgespien war wie eine verdorbene Speise. Doch sie selbst sah sich außerstande, sein Leid anzuhören. Seine wenigen röchelnden Worte hatten schemenhafte Bilder in ihr heraufbeschworen, so schrecklich, dass sie ihm rasch die Hand auf die Lippen gelegt und ihn zu schweigen geheißen hatte. Leider war es dabei geblieben, und er sagte nun gar nichts mehr. Und auch wenn ihr dies erlaubte, die Erinnerungen an die Normannen, an das Töten, an die Verwüstung wieder in den untersten Seelenkerker zu sperren, so wusste sie doch: Irgendjemand musste Balduin helfen, sonst würde er sich zugrunde richten.
Johanna fuhr zusammen. Schritte hatten sich ihr genähert, die leisen, tapsenden einer Frau, die kaum größer war als ein Mädchen.
»Musst du mich so erschrecken?«, keifte Johanna sie an. Das Gesicht war ihr fremd. Wahrscheinlich war jenes Mädchen eine Leibeigene und als solche nicht wert, genauer betrachtet zu werden. Nur wenige Gesichter hatte sich Johanna eingeprägt, und die Menschen hier in Laon, deren Namen sie nennen konnte, ließen sich an einer Hand abzählen.
»Es tut mir leid«, murmelte die junge Frau verlegen. »Aber der Graf schickt mich. Einer der Tuchwalker hat sich mit heißem Wasser verbrüht. Der Graf meinte, dass Ihr ihm vielleicht helfen könnt.«
Johanna stöhnte ungehalten. Sie mochte es, im Garten ihre
Kräuter zu züchten und mehr über die Heilkunde zu lernen. Gegen jede Krankheit, die Balduin hätte befallen können, wollte sie gewappnet sein. Doch lästig war ihr, dass sich ihre Fähigkeiten herumgesprochen hatten und man immer häufiger ihren Rat und ihre Hilfe suchte. Für gewöhnlich verwehrte sie beides nicht, war doch ihre Stellung nicht ausreichend geklärt, weshalb sie stets
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