Das Geständnis der Amme
hatten, dann wollten sie es mit Würde tun.
Wo sind die Kinder?, dachte Balduin wieder – und wusste es. Sie waren dahingeschlachtet, genauso wie die freundliche Groa, die ihn immer mit köstlichen Eintöpfen versorgt hatte, genauso wie die meisten der finsteren Krieger, die sich bis zuletzt erbittert gegen die übermacht gewehrt hatten, genauso wie … nein, Eyyindr lebte noch, er zählte zu jenen, die man überwältigt, aber noch nicht getötet hatte. Er war Balduin immer schmal erschienen, doch nie so klein wie jetzt. Sein blondes Haar war schmutzig, sein Gesicht verkrustet vom Blut anderer, das auf ihn gespritzt war, vielleicht sogar das von Audacer, wenngleich er den tödlichen Pfeil aus großer Entfernung abgegeben hatte.
Balduin suchte seinen Blick, hoffte darin etwas zu lesen, etwas von der Vertrautheit, die in den letzten Tagen zwischen ihnen entstanden war, vielleicht von Reue, weil er seinen Vater getötet hatte.
Doch im Gegensatz zum Rest hielt Eyvindr die Lider gesenkt.
Ein anderer aber starrte Balduin an, trat zu ihm, ergriff ihn am Arm.
»Du solltest es tun«, sagte Gerold. »Balduin … du musst ihn rächen.«
Balduin hörte ihn kaum. Stimmen schwirrten durch seinen Kopf, so viele Stimmen.
Die von Johanna: »Du musst versprechen, die Normannen zu besiegen«, die des Grafen: »Im Leben muss man stets seine Pflicht erfüllen«, die seines Vater Audacer: »Das Leben ist grausam, sei du es auch!«
»Balduin, räche ihn!«, wiederholte Gerold.
Er fuhr hoch. »Was …«, stammelte er, »was redest du da?«
»Komm zu dir! Sie … sie haben deinen Vater getötet, wahrscheinlich hätten sie auch dich getötet.«
»Nein, nein, das haben sie nicht getan. Sie …«
»Sie haben dich gefangen genommen, dich wie einen Sklavengehalten. Sie sind unsere Feinde, Balduin. Graf Robert hat befohlen, dass wir keine Gefangenen machen.«
Balduin schwindelte es. Ein böser Traum musste es sein, dass Audacer gefallen war, und noch mehr, was jener zu ihm gesagt hatte. Doch dann klärte sich das Bild, und er fragte sich, ob es nicht vielmehr ein Traum gewesen war, was sich in den letzten Tagen zugetragen hatte. Unmöglich, dass er bei diesen Menschen gehaust hatte, unmöglich, dass sie einander Geschichten erzählt hatten, dass er das Lächeln von Groa und den Kindern erwidert hatte. Sie musste ihm Gift ins Essen geträufelt haben, das solche Trugbilder erzeugt hatte.
»Warum zögerst du?«, fragte Gerold. Gleichwohl sich einstige Feindschaft längst in nüchterne Kameradschaftlichkeit gewandelt hatte, glaubte Balduin, ein wenig von der Verachtung herauszuhören, die ihn einst getroffen hatte, als er sich während des Gewitters unter dem Bett verkrochen hatte.
»Aus dir wird nie ein rechter Krieger werden«, hatte Arbogast damals gehöhnt.
»Doch«, hatte Johanna ihn später getröstet, »aus dir wird ein Krieger, aus dir muss einer werden, damit du die verfluchten Normannen töten kannst … «
Seine Hände verkrampften sich, erst jetzt spürte er, dass er immer noch das Schwert hielt, das Audacer ihm gegeben hatte, so viele Jahre zu spät, aber letztlich doch als Zeichen, dass er sein Vater war.
Und nun geh hin und schlachte meinen Mörder …
Wieder gerieten sämtliche Stimmen durcheinander.
Still!, dachte Balduin, seid still!
Doch die Stimmen wurden nicht leiser, sondern immer eindringlicher, immer quälender. Sie keiften, girrten, krächzten durcheinander.
Das Leben ist grausam … du wirst nie ein Krieger … töte die Normannen …
Da hob er sein Schwert, auf dass sie endlich schwiegen.
»Bitte, lieber Gott, gib ihn mir heil wieder! Gib ihn mir wieder!«
Seit die Nachricht ihn erreicht hatte, dass Balduin wohl gefallen war, fühlte sich Graf Robert wie gelähmt. In Gerolds Anwesenheit hatte er sein Entsetzen verbergen können, hatte Balduins Tod scheinbar hingenommen, und als Audacer lautstark herumgebrüllt hatte, er würde seinen Sohn nicht im Stich lassen – Graf Robert konnte sich nicht erinnern, wann Audacer Balduin jemals zuvor als Sohn bezeichnet hatte –, nun, da hatte er sich keine Hoffnung erlaubt und jene unnahbare Haltung an den Tag gelegt, die ihm anerzogen war. Doch seitdem die Truppe Laon verlassen hatte und ihm nichts anderes übrig blieb als zu warten, konnte er seine Fassung kaum aufrechterhalten.
Er schlief schlecht, aß nur mit größtem Widerwillen und war träge wie nie. Wenn er Gericht halten musste, war er unaufmerksam, wenn er die Abführung des Zehnten überwachen
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