Das Geständnis der Amme
dürfe ihn heben und herzen. Doch während sie das rotwangige, lächelnde Kleinkind mit niemandem hatte teilen wollen, gab sie den trübsinnigen Mann, zu dem er geworden war, umso lieber ab. Dass Madalgis stundenlang bei ihm saß und ihm an ihrer Statt verdünnten Wein einträufelte, nahm ihr eine Last von der Seele. So ließ sie ihn nicht im Stich, nein, wusste ihn kundigen Händen anvertraut, und war doch nicht gezwungen, ihn zu pflegen, bis sein Elend auf sie überschwappte.
Nach einer Woche schließlich passte sie das Mädchen an der Schwelle zu seiner Tür ab. Balduins Zustand hatte sich immer noch nicht verändert.
»Du musst ihm mehr geben«, forderte Johanna.
Madalgis blickte sie von unten her an. Nicht nur, dass sie klein gewachsen war. Sie neigte auch dazu, den Kopf zu senken und einzig den Blick zu heben, wenn sie jemanden ansah. Treuherzig wirkte das, es vertuschte das Gierige in ihren Katzenaugen.
»Mehr zu trinken?«, fragte Madalgis. »Aber es ist doch schon mühsam, ihm das wenige …«
»Das meine ich nicht«, fiel Johanna ihr ins Wort. »Ich wollte sagen: mehr von dir.«
Madalgis verbarg nun vollends ihren Blick. Glatt war die Stirne, Johanna war sich nicht sicher, was dahinter vorging. Sie hatte freilich keine Lust, es mühsam zu ergründen, sondern sprach forsch heraus: »Hast du schon bei einem Mann gelegen?«
Madalgis’ Lider flackerten kaum merklich, doch als sie den Kopf hob – viel höher, als es üblich war –, war ihr Blick starr und undurchsichtig.
»Ja«, sagte sie schlicht, und dann wandte sie sich wortlos ab, um Balduins Gemach zu betreten.
Madalgis blickte auf Balduin. Sie wusste, dass von ihm keine Regung zu erwarten stand, aber dennoch hatte sie gehofft, er würde in irgendeiner Weise darauf antworten, dass sie ihm so nahe wie nie zuvor kam: mit einem kurzen Zwinkern seiner Augen, dem Anflug eines Lächelns.
Doch als sie sich vorsichtig auf dem Rand seines Bettes niederließ, lag er wie ein Toter. Sie nahm seine Hand, die sich warm, aber schlaff anfühlte, und rang damit, sie nicht gleich wieder fallen zu lassen. Es war etwas anderes, sich dreist vor Johanna aufzustellen, ihrem kalten Blick mit einem berechnenden zu trotzen und zu behaupten, sie kenne sich mit Männern aus, als nun allein mit einem solchen Mann zu sein, der an nichts Interesse zeigte, schon gar nicht an ihr.
Wenn Johanna wüsste, ging es Madalgis durch den Kopf, wenn sie nur wüsste, woher meine Erfahrungen stammen und welcher Mann …
Doch wahrscheinlich war das Johanna gleich. Balduins einstige Amme war nicht bekannt dafür, eine strikte Linie zwischen Gut und Böse zu ziehen und all das zu meiden, was nach Sünde roch. Vielmehr ordnete sie ihr Verständnis darüber, was eine Sünde war und was nicht, wohl dem unter, was Balduin helfen konnte.
»Balduin«, setzte Madalgis unsicher an. Sie kam sich verwegen vor, ihn einfach bei seinem Namen anzusprechen, doch er reagierte darauf ebenso wenig wie auf alles andere. »Balduin …weißt du, wer ich bin? Ich war schon mehrere Male hier. Mein Name ist Madalgis und …« Sie rang nach Atem. »Ich weiß nicht, was dir geschehen ist und was dich so gram stimmt. Nun, in meinem Leben, da gibt es auch vieles, was mich gram stimmen könnte, wenn ich es nur zuließe, aber man darf es nicht zulassen, verstehst du? Es … es tötet einen!«
Bedächtig legte sie die eine Hand zurück, um nun die andere zu ergreifen, sanft über den Handrücken zu streicheln und sie mehrmals fest zu drücken.
»Manchmal muss man sich dem Leben fügen, die Schläge hinnehmen … und sei es nur zum Schein, um sich dann, wenn das Leben am wenigsten damit rechnet, still und leise gegen seine Pläne zu erheben. Oder warum, denkst du, bin ich hier?«
Anfangs hatte sie noch zögerlich gesprochen, nun blubberten ihr die Worte regelrecht aus dem Mund. Es war befreiend, sich nicht zu verstellen, und auch wenn sie Balduin damit nicht erreichen konnte, stärkte sie es doch in dem, was sie zu tun beabsichtigte.
»Mein Name ist Madalgis«, wiederholte sie, »ich bin eine Magd … aus mir kann nichts werden. Das sagte mein Vater immer. ›Du bist hübsch‹, sagte er, ›und du weißt dein Köpfchen zu gebrauchen … aber das alles nützt nichts. Ich kann dir nichts geben, was dir ein schönes Leben schenkt.‹«
Am Ende hatte ihr der Vater mehr gegeben, als sie jemals wollte, aber das sagte sie nicht laut …
»Mein Vater hat sich immer beklagt, dass es auf der Welt nicht gerecht
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