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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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versuchte, sich unverzichtbar zu machen. Doch nun, da sie, die körperlicher Leiden oft Herr werden konnte, Balduins geistigem Zustand so hilflos ausgeliefert war, deuchte es sie als Zumutung, dass sie einem anderen an seiner Statt helfen sollte.
    »Es … es geht dem jungen Herrn nicht besser?«, fragte die Frau indessen vorsichtig.
    Johanna stierte sie an. Kurz war sie geneigt, sie eisig zurechtzuweisen, dass es sie mitnichten etwas anginge. Doch die letzten Tage hatten sie derart zermürbt, dass es tröstlich war, auf eine Seele zu stoßen, die ihre größte Kümmernis aussprach.
    »Ich … ich weiß nicht mehr, was ich für ihn tun kann«, stammelte sie.
    Das Mädchen nickte. Es hatte braune Augen, so hell, dass sie fast ins Gelbliche übergingen.
    Wie eine Katze, dachte Johanna. Spitz wie die Schnauze einer solchen war auch das Kinn, breit die Wangenknochen. Ihre Haare waren von mattem Braun und so fest geflochten, dass sich nicht sagen ließ, ob sie glatt oder lockig fallen würden.
    »Was soll ich dem Grafen denn nun sagen?«, fragte das Mädchen, nachdem Johanna sie eine Weile durchdringend angestarrt hatte. »Werdet … werdet Ihr dem Tuchwalker helfen?«
    »Ja doch!«, murrte Johanna unwillig. »Wenn er es wünscht, dann komme ich!«
    Das Mädchen atmete hörbar aus. Offenbar hatte sich bis zu ihr herumgesprochen, dass man eine Frau wie Johanna am besten mied. Sie hatte zwar keine echten Feinde – aber es gab auch niemanden, der sie mochte.
    »Soll ich in der Zwischenzeit auf den jungen Herrn achten?«, fragte das Mädchen.
    Johanna hatte sich schon zum Gehen gewandt. Jetzt drehte sie sich um, zunächst verärgert über das dreiste Ansinnen, dann erleichtert, dass sie Balduin nicht allein lassen musste.
    »Tu das!«, forderte sie schlicht, ging ein paar Schritte, drehte sich noch einmal um. »Wer bist du eigentlich? Wie heißt du?«
    »Meine Eltern waren freie Bauern und haben an der Küste gelebt, aber sie sind im Jahr meiner Geburt vor den Normannen geflohen. Der Graf hat sie aufgenommen – zum Preis, dass sie ihre Freiheit verloren haben.«
    Johanna nickte. Dergleichen hatte sie schon oft gehört: dass Flüchtlinge zu Leibeigenen gemacht wurden, obwohl der König vor wenigen Jahren ein Gesetz erlassen hatte, wonach dieses verboten und die Unglückseligen wie Gäste zu behandeln seien.
    »Ich bin gut im Weben und Spinnen, und im Sommer ist es meine Aufgabe, den Flachs zu brechen und zu zupfen. Ich weiß auch, wie man mit Scharlach und Krapp Tuch färbt«, fuhr das Mädchen fort. Es machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Mein Name ist Madalgis.«
     
    In den nächsten Tagen begann Johanna, Madalgis zu beobachten. Nicht wirklich gewollt kam sie schließlich zu dem Schluss, zu welchem Zweck ihr das Mädchen tauglich sein konnte. Der Gedanke festigte sich nach und nach, je mehr sie von ihr erfuhr. Das meiste verrieten ihr nicht die Worte, die Madalgis sagte, sondern ihre Gesten: der hungrige Blick dieser hellbraunen Augen, die oft zwischen Missmut und Sehnsucht schwankten, die steifen Bewegungen, mit denen sie ihre Arbeiten verrichtete. Madalgis war nicht faul, im Gegenteil; sie erledigte ihre Pflichten ohne Tadel. Aber das waren sie eben: nur Pflichten, niemals Vergnügen. Sie hätte sie niemals erfüllt, wenn sie ihr nicht befohlen worden wären und sie eine andere Möglichkeit gewittert hätte, an ihr täglich Brot zu kommen.
    Auf den ersten Blick wirkte sie schüchtern und still, weshalb die meisten sie für einen jener dumpfen Menschen hielten, die zum Dienen und zum Schuften geboren waren und niemals daran dachten,sich gegen dieses Joch zu erheben. Doch bald glaubte Johanna, sie durchschaut zu haben; diese lautlose Art war gewiss nicht erlogen, jedoch auch nicht aus Bescheidenheit geboren, sondern vom Wunsch, möglichst viel aus möglichst schlechten Umständen herauszuschlagen – und das wiederum möglichst unauffällig.
    Es fiel Johanna leicht, sich in dem Mädchen wiederzuerkennen. Etwas von dem, auf das sie in Madalgis stieß, war ihr vertraut: jener Anflug von Verbitterung über das eigene Geschick, besonders deutlich, wenn sie auf ihre eigene dreckige Kleidung herabblickte, und jene Sehnsucht nach Sauberkeit, Sehnsucht danach, eine winzig kleine Stufe über jene Grenzen hinauszuklettern, die ihr Dasein umstellten.
    Einst hatte Johanna es nicht gern gesehen, wenn sich andere Weiber um Balduin kümmerten. Ihr Kind war er gewesen, und schrill wurde ihre Stimme, wenn eine andere meinte, sie

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