Das Geständnis der Amme
warten.
Auch Johanna war weiß geworden, stürmte dem ersten Reiter entgegen – es war Gerold. Sie brachte keinen Laut hervor.
»Gerold!«, schrie der Graf an ihrer Stelle, es klang wie das Kreischen eines Weibes. Er sah, wie es den Neffen befremdete –wohl nicht nur das Kreischen, sondern vor allem seine übertriebene Sorge um Balduin. Ob er sie auch für ihn, Gerold, aufgebracht hätte?
Alpais ging murmelnd und gleichgültig ihrer Wege.
»Balduin lebt!«, sagte Gerold schnell. »Er ist am Leben, aber …«
Er kam nicht dazu fortzufahren, schon stürzte der Graf auf den jungen Mann zu, der nun in den Hof geritten kam – oder vielmehr in den Hof geführt wurde.
Die hitzige Erleichterung erstarb. Als Robert Balduin anstarrte, bestürzt zuerst, dann in schmerzlicher Erkenntnis, dachte er kurz, Gerold habe ihn angelogen. Balduin lebte nicht, er konnte nicht leben, er sah doch aus wie tot, wie er da steif auf dem Pferd saß, ohne es zu lenken.
»Balduin«, brachte Johanna schwach hervor.
Nicht einmal darauf schien der junge Mann zu hören. Als einer der Knechte Balduin am Fuß packte und ihm andeutete, vom Pferd zu steigen, da leistete er der Aufforderung Folge. Doch als er am Boden stand, tat er keinen Schritt auf Robert zu.
Jener wollte ihn umarmen, doch der Heimgekehrte zuckte zurück. Balduins Stirn war in Furchen gezogen, einzelne Haare waren ergraut, er ließ die Schultern hängen wie ein uralter Mann.
»Es geht nun schon seit Tagen so«, sagte Gerold, der zu Robert getreten war. »Er … er spricht kein Wort und zeigt keine Regung.«
»Lieber Himmel, was ist ihm geschehen?«
Gerold zuckte bedauernd die Schultern. »Audacer …«
Der Graf fuhr herum, suchte nach dem Mann, der ihm ein höchst eigenwilliger, aber doch treuer Freund gewesen war. »Er ist tot?«, rief er entsetzt.
»Durch die Hand der Normannen gefallen«, bestätigte Gerold. »Balduin hat ihn gerächt. Und versinkt seitdem in Trauer.«
Balduin musste die Worte gehört haben, er stand in ihrer Nähe, doch sein Blick regte sich nicht.
Audacer …, ging es dem Grafen durch den Kopf, er trauert um Audacer.
Plötzlich schmeckte es gallig in seinem Mund, nicht nur wegender eben ausgestandenen Aufregung, sondern wegen der Fassungslosigkeit, die sich in ihm ausbreitete.
Er war dir nie ein Vater, nie so wie ich, und du trauerst derart um ihn, dass du deinen Verstand verlierst? Ich habe mich immer um dich gekümmert, und dir bricht das Herz ausgerechnet dann, wenn jener Mann von dieser Welt geht, der dir gegenüber stets kalt und hartherzig war?
Der Graf wagte nicht, die Fragen laut auszusprechen, Balduin hätte sie ja doch nicht verstanden, aber er fühlte, wie sie die Verbitterung vergrößerten, die in ihm hochstieg und der Freude über Balduins Heimkehr den Rang ablief.
»Gott sei Audacers Seele gnädig«, sagte er, viel schroffer, als ihm zumute war.
»Balduin …«, stammelte Johanna hilflos. Auch sie wagte nicht, dem Ziehsohn zu nahe zu kommen.
»Bringt ihn ins Badehaus!«, befahl der Graf und fand zu seinem gebieterischen Tonfall zurück. »Und gebt ihm zu essen!«
Wieder zuckte Gerold mit den Schultern. »Er isst schon seit Tagen nichts.«
Roberts eigener Magen knurrte, er hatte ja selbst kaum etwas heruntergebracht in der letzten Zeit.
»Der Appetit kommt oft beim Anblick der Speisen.«
Der Knecht, der Balduin vom Pferd geholfen hatte, packte ihn nun an den Schultern und zog ihn mit sich. Johanna überwand sich, den Bannkreis zu überschreiten, den Balduin um sich gezogen hatte, und hakte sich auf der anderen Seite unter. Ausdruckslos ließ Balduin es über sich ergehen. Alpais war nun stehen geblieben, hob den Kopf.
»Hiergeblieben!«, befahl der Graf, als Gerold den Männern ins Innere folgen wollte. »Hast du Neuigkeiten vom Kriegszug des Königs?«
»Du willst jetzt davon hören?«, fragte Gerold verwundert.
Audacer hat ihn nie gewollt, nie so, wie ich ihn wollte, und doch trauert er um ihn … Der Graf schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu vertreiben.
»Ich muss doch wissen, was im Reich vor sich geht!«, bestand er auf seiner Forderung.
Gerold zuckte die Schultern. »Nun gut, wenn du willst. Man hat Ludwig von Saint-Denis freigelassen, nachdem 685
livres d’or
Lösegeld bezahlt wurden. Es heißt, der König habe mit allen Streitkräften die Insel Oscellus belagert, wohin sich die Normannen zurückgezogen haben. Doch dann hat sein Bruder, König Ludovicus Germanicus, wieder einmal die
Gallia
angegriffen,
Weitere Kostenlose Bücher