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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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jemand, ihn zu stören. Die Einsamkeit, die ihm eben noch unbehaglich vorgekommen war, wähnte er nun, da sie nicht länger währte, als kostbares Gut.
    »W-w-wer wa-wa-wagt es?«, rief er, nur halb so zornig, wie er wollte. In Augenblicken der Erregung stotterte er stärker als sonst, weshalb ihm nichts anderes übrig blieb, als zu versuchen, jede Aufregung zu zügeln.
    Als er die Gestalt des Mädchens genauer betrachtete, versiegte sein Zorn ohnehin. Sie war keine von diesen neugierig gaffenden Mägden, die sich heimlich über die schwächliche Statur des Königssohns lustig machten, sondern schien derart mit ihrem Elend beschäftigt, dass ihr wohl gleichgültig war, ob er groß undstattlich war oder nicht. Sie blickte ihn auch kaum an, sondern schluchzte nur herzzerreißend.
    »W-w-w-w-was ist los? W-w-w-was hast du?«
    Ihre Tränen verstörten ihn. Halb missmutig, halb verlegen trat er zu ihr, blickte auf sie herab, hoffte, sie möge die Fassung wieder gewinnen. Dass sie es nicht tat, sondern immer lauter schluchzte, die Augen zunehmend verquollen und die Haut ihres Gesichts alsbald mit roten Flecken übersät, rührte etwas in ihm, von dem er nicht gewusst hatte, dass es überhaupt da war: Ärger darüber, dass sie sich so gehen ließ, während ihm ein Lebtag lang eingebläut worden war, es sei dem Menschen bestimmt, sich zusammenzureißen und keine Schwäche zu zeigen. Und zugleich Schadenfreude gegenüber jenen Lehrern und Erziehern, die ihn das hatten glauben machen wollen und die vor einem so vollkommen aufgelösten Mädchen nicht minder machtlos resigniert hätten wie er selbst.
    Vorsichtig kniete er sich zu ihr, musterte sie mit unverhohlener Neugierde, als wäre sie ein sonderbares Fabelwesen. Schließlich hob er die Hand, streifte mit dem gespreizten Zeigefinger über ihr Gesicht. Gleichwohl er ihre Haut kaum berührte, spürte er die Hitze, die davon ausging. Doch nicht er war es, der zurückzuckte, sondern sie.
    »Bitte verzeiht!«, rief sie erschrocken. Erstmals schien nüchterne überlegung in ihren Gram zu dringen. »Ich weiß, ich dürfte nicht hier sein. Ich wurde hierher geschickt, um Euer Lager zu bereiten, und sollte dann gleich wieder gehen. Aber es ist der einzige Ort, wo ich allein sein kann. Und ich ertrage keine Menschen um mich herum. Ich dachte … Ich dachte, es würde besser werden, wenn ich nur ausreichend Buße getan hätte, aber das wurde es nicht. Bruder Ambrosius hat mich belogen.«
    Ludwig ließ die Hand sinken. Sie schien also zu wissen, wer er war – und war von ihrem Kummer doch so aufgewühlt, dass die Scheu nur an den äußersten Schalen ihres Gemütes kratzte.
    »Sa-sa-sag mir, wa-warum du w-w-weinst!«
    Wie immer missglückte es ihm, die Worte forsch klingen zulassen. Das Stottern zersetzte jede Strenge. Und doch erreichte er, dass sie die feuchten Augen senkte, schließlich mit dem Kinn in Richtung Fenster nickte und bekannte: »Er … er missachtet mich!«
    Es klang, als spräche sie über sich selbst ein Todesurteil. Noch ehe Ludwig sich aufgerichtet hatte und zum Fenster getreten war, wusste er, wen sie meinte. Das Glas war weniger rein als das im Saal. Wer immer es angefertigt hatte, verstand nicht viel von seiner Kunst. Schmutzig grau verzerrte es die Welt, doch Ludwig musste nichts sehen. Er hörte mühelos Balduins Stimme, laut und kreischend, aus dem Treiben im Hof heraus. Nicht lange nach ihm musste er den Saal verlassen haben und hinaus in den Hof gewankt sein, wo die Dienstboten und Leibeigenen feierten. Sie hatten sich rund um ein Lagerfeuer versammelt, das die Männer der Kirche zumeist verteufelten, erinnerte es doch an heidnische Bräuche, die längst ausgemerzt sein sollten. Gerade während des Sommerbeginns arteten Tanz und Gesang um solche Feuer nicht selten in wüste Orgien aus, bei denen sich die Menschen ohne bedachtsame Wahl bestiegen und sich nicht scherten, ob sie die Ehe brachen oder jungfräuliche Maiden in Schande stürzten.
    Das Treiben dort unten war harmlos. Es waren vor allem Männer, die nicht der Sünde der Wollust frönten, sondern einzig dem Met.
    Ludwig schüttelte den Kopf. Ein Mann von Balduins Stand –und obendrein ein guter Christ – sollte Wein trinken, nicht Bier. »Er ist ein Vasall des Königs und benimmt sich wie ein Bauer«, knurrte er, und die Worte kamen ihm ganz ohne Stottern über die Lippen.
    Das Mädchen blickte hoch. »Ich dachte, er ist Euer Freund und Waffengefährte ! «
    Ludwig antwortete nicht. »Wie heißt

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