Das Geständnis der Amme
es nicht verborgen geblieben, dass regelmäßig Briefe von Judiths königlichem Vater eintrafen und Bischof Erpuinus von Senlis, der seinen aufmüpfigen Gast eher zu meiden pflegte, sie nunmehr täglich zu sich bat, um sie zu zermürben – wohl mit Fragen, was sie von den Plänen ihres Bruders wusste. Danach pflegte sich Judith in ihr Gemach zu verkriechen, um nicht noch weiteren Menschen begegnen zu müssen. Doch auch hier, in jenem heimeligen Raum mit den holzgeschnitzten Möbeln, Teppichen und Wandmosaiken, kam sie nicht zur Ruhe, sondern schritt auf und ab, auf und ab …
Ihre Rastlosigkeit breitete sich auch auf ihre Damen aus. Für gewöhnlich schwiegen sie gelangweilt, wenn Judith etwa von gelehrten Mönchen wie Bruder Godhard Unterricht erhielt – im übrigen ließ der sich seit Tagen nicht blicken, als könne die Nähe zur Königstochter schwärzlich auf seine Seele abfärben –, doch nun brandete an allen Ecken Getuschel auf, mit dem sich die Frauen die Anspannung von der Seele zu reden suchten.
Man sprach zwar nicht über Prinz Ludwig selbst, doch in vielerleiGeschichten und Klatsch klang unüberhörbar etwas von der Furcht und Empörung mit, die ob seiner drohenden Revolte die Gemüter erhitzten.
Eben erzählte eine der Frauen von einem hochwohlgeborenen Ritter, dem der Teufel selbst in der Gestalt eines Priesters die Kommunion überreicht hatte. Kaum hatte der Unglückselige den Mund geöffnet, um das gewandelte Brot aufzunehmen, fuhren augenblicklich sieben Dämonen in ihn, um ihn zu den schlimmsten aller Sünden aufzuhetzen. Der Ritter widerstand dem Trachten, doch als die Dämonen ihn wieder verließen, war sein Geist so schwach, dass er nie wieder zu klaren Gedanken fähig war. Der arme Mann hatte auf ewig seinen Verstand verloren.
Judith hielt inne und drehte sich zu dem Mädchen um, das die Geschichte erzählt hatte. Bislang war nicht gewiss gewesen, ob sie auf das Geschwätz ihrer Damen achtete, doch nun sprach sie forsch: »Du redest nicht etwa von meinem Vater?«
»Judith!«, erklang mahnend die Stimme einer gewissen Clothilde, einer entfernten Cousine der Königstochter, zu alt, um zu heiraten, zu unwillig, um in ein Kloster zu gehen.
Sie zuckte nur die Schultern. »Alle Männer, die ich kenne, bekriegen sich bis aufs Blut um Macht. Und so müssen sie den Rest ihres Lebens weiterkämpfen, um diese Macht zu halten. Glaubt mir, ich würde mich freuen, wenn Ihr von einem einzigen Mann berichten könntet, der
nicht
den Verstand verloren hat, anstelle von einem, den der Teufel wahnsinnig gemacht hat.«
Sie sprach es und begann, ihr unruhiges Schreiten wieder aufzunehmen. Beschämtes Schweigen legte sich über das Grüppchen – nur eine Einzige widerstand dem Drang nicht, die aufgewühlte Königin herauszufordern.
»Und wie, meine Königin, wertest du das Verhalten deines Bruders Ludwig?«, fragte sie. »Ist er vom Teufel besessen oder schlicht ohne Verstand? Oder etwa beides?«
Judith fuhr herum und starrte in das trotzige Gesicht einer Dame, die sie bereits in den letzten Wochen nicht selten aufmüpfig und stichelnd erlebt hatte.
»Joveta«, sagte sie seufzend, »hat dich der Bischof etwa beauftragt, die strenge Befragung an seiner Statt fortzusetzen? Eben trifft er sich mit dem Bischof von Reims, müsst ihr wissen«, fügte sie mit Blick auf die anderen Damen hinzu, »um mit jenem zu besprechen, ob ich an Ludwigs geplanter Revolte beteiligt sein könnte und ob man mich dafür zu bestrafen habe. Weiß Gott, mir fällt keine Strafe ein, die mein Los noch schlimmer machen würde.«
Die Damen wichen ihrem Blick aus, nur Joveta hielt ihm stand.
»Und«, fragte sie dreist, »hättest du denn eine Strafe verdient?«
Diesmal seufzte Judith nicht, sondern schüttelte nur resigniert den Kopf. »Joveta«, sprach sie ein zweites Mal den Namen des Mädchens aus, »glaub nicht, es wäre mir unbemerkt geblieben, dass du seit Wochen an lästerlichen Worten wider mich nicht sparst. Ich habe dir nichts getan, was …«
»Du hast mich vor aller Welt bloßgestellt!«
»Ich habe nichts getan«, fuhr Judith mit strenger Stimme fort, »was du dir nicht selbst zuzuschreiben hast. Ich habe keine Lügen über dich verbreitet. Ich habe nichts als die Wahrheit benannt.«
Judith sprach klar und beherrscht, ganz anders als Joveta, der nun gekränkte Worte über die Lippen quollen: »Was mich mit Graf Balduin verbindet, geht dich nichts an, Königin! Oder etwa doch? Bist du nur neidisch auf mich, weil ich
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