Das Geständnis der Amme
bei ihm gelegen habe? Am Tage seines Abschieds sah man euch gemeinsam im Stall stehen und reden! Es heißt … es heißt, du hast sein Gesicht berührt.«
Bis jetzt hatte Joveta dieses Wissen den Gefährtinnen anscheinend vorenthalten, denn jene rissen nun entsetzt die Augen auf, stießen sich gegenseitig an und starrten dann auf die Königin.
Judith blieb stehen und verkreuzte seelenruhig ihre Arme vor der Brust. Sachte Röte überzog ihre bleichen Wangen.
»Ich habe nichts getan, dessen ich mich schämen müsste«, erklärte sie ruhig. »Im übrigen meine ich auch nicht, dass du dichschämen müsstest für das, was geschehen ist. Lediglich vorsehen solltest du dich, Joveta. So sicher ist deine Stellung nicht.«
»Drohst du mir etwa?«
»Ich ganz gewiss nicht!«, gab Judith entschlossen zurück. »Ich versuche dir beizustehen, begreifst du das denn nicht? Keiner der Männer, an deren Hals du dich wirfst, wird deine Rettung sein! Ich hingegen erleide gerade das gleiche Schicksal wie du. Beide sollen wir für etwas bestraft werden, was andere unserer Familien angerichtet haben. Du leidest unter dem Verrat deines Vaters. Und ich an jenem meines Bruders – so es denn wirklich dazu kommt. Mein Vater denkt, ich hätte ihn dazu angestiftet, der Bischof von Senlis denkt das natürlich auch, denn alle Sünde dieser Welt geht bekanntlich von der Frau aus, vor allem der Wunsch, sich etwas zu nehmen, was einem nicht gebührt – so wie auch die Frucht vom Baume der Erkenntnis. Sei’s drum, ich frage dich nur: Genügend Feindseligkeit schwappt uns von allen Seiten entgegen – soll sie auch zwischen uns herrschen?«
Judiths klare, blaue Augen musterten Joveta. Jene hielt dem Blick nicht stand, sondern wich ihm aus; ihre Lippen begannen zu zittern.
»Und … und … und Madalgis«, stammelte sie. »Du hast auch Madalgis bloßgestellt! Niemand wusste von ihrer Vergangenheit, und nun …«
Joveta blickte in die Runde, suchte nach der Benannten. Madalgis war meist still und unauffällig, so auch jetzt. Bislang hatte sie kein Wort gesagt, doch kaum war ihr Name erklungen, richtete sie sich auf. Ihre braunen Augen glühten beinahe gelb, als sich ihr kaum verhohlener Zorn entlud – doch nicht auf Judith, sondern auf Joveta. Deren Blick senkte sich noch tiefer, ihre Lippen zitterten noch mehr.
»Madalgis, ich wollte nicht …«
»Wag es nicht, noch ein schlechtes Wort über die Königin zu sagen!«
Madalgis Worte waren nicht lauter als ein Zischen, sie glichen dem Fauchen einer feindseligen Katze.
Joveta setzte sich rasch, als könnte Madalgis’ Wut sie noch gefährlicher treffen, solange sie stand.
»Ach, Mädchen«, seufzte da Judith ungewohnt kleinlaut. »Es sind keine leichten Tage, die hinter uns und vor uns liegen. Ich bitte euch nochmals: kein Zank, kein Hader, wir wollen …«
Weiter kam sie nicht. Noch im Sprechen hatte etwas ihren Blick von den Frauen abgelenkt. Sie war zum Fenster getreten, hatte durch die gelblichen Scheiben nach draußen geschaut und gewahrte nun, was sich dort zutrug. Ein Schrei entfuhr ihrer Kehle, als sie inmitten des jähen Getümmels ein vertrautes Gesicht erkannte. Während nun auch die Damen neugierig aufsprangen, stürzte Judith schon zur Türe, um hinunter in den Hof zu eilen.
Die frischgebackene Gattin von Prinz Ludwig, ein Mädchen namens Ansgard, war zum einen unglaublich klein und zum anderen unglaublich hässlich. Das war das Erste, was Judith durch den Kopf ging, als ihre überraschung, den Bruder ausgerechnet in Senlis zu sehen, noch von der Tatsache gesteigert wurde, dass er ihr seine Frau vorstellte.
»Das ist Ansgard«, sagte er. »Ich habe sie ge-ge-geheiratet. V-V-V-Vater weiß nichts davon.«
Das Mädchen reichte dem ohnehin nicht sonderlich groß gewachsenen Ludwig nicht einmal bis zu den Schultern. Sie blickte kaum auf, als Judith sie musterte, versuchte sich nur an einem scheuen Lächeln. Jenes ließ die weit auseinanderstehenden Zähne noch größer erscheinen. Fast waagrecht standen sie aus dem Mund hervor, sodass sie selbst bei ernster Miene kaum die Lippen darüber schließen konnte, was den Eindruck vermittelte, sie würde an einem zu großen Bissen kauen. Ihre Haare waren dünn und rötlich, ihre Augen blassgrau, die fahle Haut des Gesichts von Sommersprossen übersät. Obgleich gerade Letzteres als Makel galt, war es zugleich das, was Ansgard mädchenhaft und irgendwie verletzlich erscheinen ließ – vielleicht auch das, was Ludwig an ihr rührte.
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