Das Geständnis der Amme
hatte. Nicht zuletzt wegen der Normannengefahr, die jene Kräfte bündelte, die sie ansonsten gegeneinander hätten richten können, hatten Karl und Erispoe in Angers einen Friedensvertrag geschlossen, in dem sie sich beide gegenseitig anerkannten. Kaum fünf Jahre später wurde dieser Vertrag bekräftigt, indem Karl seinen Sohn Ludwig mit Erispoes Tochter verlobte. Die Ehe freilich wurde nie geschlossen, denn schon ein Jahr später wurde Erispoe ermordet und ein gewisser
Dux
Salomon ergriff die Macht.
Balduin zuckte zusammen. Er hatte nicht gemerkt, dass Ludwig dichter an ihn herangeritten war. Er spürte die Wärme von dessen Pferd, das zwar immer noch starrer zu stehen vermochte als sein eigenes, das nun aber unwillig die Nüstern blähte.
»Ich werde in die Bretagne reiten«, sprach Ludwig. »Ich werde mich dort mit
Dux
Salomon verbünden!«
Balduin wusste nicht, ob es am Wind lag, der womöglich die Silben verschluckte, aber er hörte Ludwig nicht stottern. Gemessen an dem, was er da sagte, war die überraschung darüber freilich gering.
»Du willst was tun?«, schrie er, diesmal nicht, um den Sturm zu übertönen, sondern vor Entsetzen. »Aber Salomon ist derMörder von Erispoe, und jener wäre fast dein Schwiegervater geworden!«
»Pah!«, stieß Ludwig leichtfertig hervor. »Erispoe war unfähig, das wusste jeder. Salomon konnte sich nur deshalb gegen ihn durchsetzen, weil Erispoe im Ernstfall nicht für den Krieg gegen die Normannen taugte.«
»Das sollte die Sorge der Bretonen sein, nicht die deine! Denn abgesehen davon hat sich Salomon als einer deiner größten Feinde erwiesen!«
Ludwig wandte seinen Kopf wieder ab, als hätte er ihn nicht verstanden. Balduin griff mit beiden Händen an seinen Helm, um ihn fester an den Kopf zu pressen – zu dem Preis, dass er so die Zügel kurzzeitig aus der Hand gab und sein Pferd unruhig schlenkerte. Mit aller Muskelkraft der Beine musste er es zähmen – und im gleichen Augenblick erkennen, dass er auf Ludwig keinen ähnlichen Einfluss hatte.
Genau genommen hatte er den nie gehabt. Er war dem Königssohn immer ausgeliefert gewesen. Doch bis jetzt hatte er den anderen halbwegs zu durchschauen vermocht, seine Handlungen vorhersehen können – bis auf jene Stunde, da Ludwig ihm befahl, die Bauern zur Hinrichtung zu führen. Was er jetzt freilich sagte, klang aberwitzig. Zu den vielen Klagen, die Ludwig häufig über ihn ergossen hatte, gehörte jene über den gemeinen
Dux
Salomon. Jener hatte sich vor gar nicht allzu langer Zeit mit den Rorgoniden verbündet, einer einflussreichen Familie, die in Neustrien, Aquitanien und Burgund Lehen besaß, und gemeinsam mit deren Anführer Robert hatte Salomon Gebiete rund um Le Mans besetzt, die Karl eigentlich Ludwig zugesprochen hatte. Balduin war bei jener Schlacht nicht dabei gewesen, die Ludwig gegen Salomon und Graf Robert, einen der herausragenden Vertreter des rorgonidischen Geschlechts, ausfocht. Doch nach allem, was er davon gehört hatte, war diese blamabel verlaufen – sowohl für Ludwig selbst als auch für seinen Vater, der danach nicht wusste, womit er mehr hadern sollte: mit seinem unfähigen Sohn, mit dem Feind Salomon oder mit dem treulosen Verräter Robert.
»Salomon ist nicht mein Feind, sondern der meines Vaters«, erklärte Ludwig.
»Eben!«, rief Balduin. »Und deswegen …«
»W-w-w-warum sind es immer die anderen, die sich gegen K-K-K-König K-K-Karl auflehnen und daraus ihren Vorteil ziehen?«, fuhr Ludwig dazwischen, und jetzt erst stellte sich sein altbekanntes Stottern wieder ein. »D-d-d-die Aquitanier tun das, mein Bruder K-K-K-Karl tut es, des K-K-K-Königs Neffe Pippin tut es, Graf Robert auch. Eine la-la-lange Liste, findest du nicht? Ich glaube, ein N-N-N-Name fehlt noch.«
Der Triumph, der zuvor noch satt in seinem Gesicht geglänzt hatte, wurde von der üblichen Verbitterung beschmutzt und von kindlichem Trotz.
»Du willst dich gegen deinen Vater erheben?«, fragte Balduin fassungslos. Diesmal griff er zu spät an seinen Kopf. Eine starke Böe erfasste seinen Helm, schleuderte ihn auf den Boden. Balduin scherte sich nicht darum. Seine langen Haare tanzten wild zuerst in die eine, dann in die andere Richtung und schlugen ihm schließlich wie eine Peitsche in das Gesicht.
»Sa-Sa-Salomon hat mir ein Bündnis angeboten«, erklärte Ludwig ruhig. »Er will einen größeren Teil von N-N-Neustrien. Den kann er gerne haben, wenn ich nur im restlichen Gebiet endlich alleine und ohne
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