Das Gewicht der Liebe
dachte sie bei sich, dass für Frances Biddle alles ein großer Spaß zu sein schien. Dieses hübsche Kindermädchen, klein und stämmig, mit einem sturen, kantigen Yankee-Kinn und einem strah lenden Lächeln, schien sich jeder Herausforderung zu stellen.
Nach dem Mittagessen aus Sandwiches mit Erdnussbutter und Kartoffelchips – »schlecht für uns, aber köst lich«, wisperte Franny Roxanne zu – las Simone aus einem Geschichtenbuch vor, das die Zwillinge so gut kannten, dass sie ganze Abschnitte auswendig mitsprechen konnten. Merell bezeichnete es als Babygeschichte, schien aber zufrieden damit zu sein, mit dem Kopf im Schoß ihrer Mutter liegen zu dürfen. Als das Interesse der Mädchen erlahmte, wies Franny sie in eine wilde Mischung aus Kickball und Tratzball ein, während sich Roxanne und Simone, mit Olivia zwischen ihnen, auf der Decke ausstreckten.
Das Baby nuckelte an seinem Schnuller, den Blick nach oben gerichtet, wo eine sanfte Brise die langen, schmalen Blätter des Pfefferbaums und die wie Weintrauben herunterhängenden Girlanden aus grünen Körnern zum Erzittern brachte. Olivia war ein mageres Baby, nicht drall und rosig, wie sie mit acht Monaten sein sollte. Ihre knochigen kleinen Finger hatten Nägel in der Größe von Baby-Aspirintabletten.
Simone legte sich zurück, stützte den Kopf auf die Hand. Hinter ihrem dünnen, weißen Handgelenk verzweigten sich die purpurnen Venen und pulsierten vor Leben; und trotz der tiefen Augenringe waren ihre dunklen Augen schön. Roxanne entdeckte Tränen.
»Was hast du?«
»Ich wünschte …« Sie schloss die Augen. »Egal, was ich mir wünsche.«
»Wenn Wünsche Fische wären, wären unsere Netze voll.«
»Und wenn Katzen Kanarienvögel wären, würden die Wolken miauen.«
»Stell dir nur die Größe der Katzenkisten vor«, sagte Roxanne.
Simone lachte. »Stell dir den Regen vor.«
Später holte Franny ein Frisbee und bot Merell an, ihr das Werfen beizubringen, während die Zwillinge einen Karren herumschoben und darin, aus irgendeinem für Roxanne unerklärlichen Grund, Blätter und Steine sammelten. Neben ihr döste Simone. Die feuchte Augusthitze verstärkte den pfeffrigen Duft des Baumes. In dem Blau jenseits der Äste zerriss ein frischer Kondensstreifen den Himmel. Roxanne beobachtete, wie sich der rosa angehauchte Streifen verbreiterte, undeutlicher wurde und verschwand. Ein Wagen mit V8-Motor röhrte außerhalb des Grundstücks über den Fort Stockton Boulevard, störte die Stille.
Ohne die Augen zu öffnen, fragte Simone: »Wenn du ein Vogel wärst, was für einer wärst du dann?«
»Krähen sind klug, und die schwarzen Federn sind total schick. Außerdem wissen sie alles, was vor sich geht.«
»Klingt, als wäre das Merells Vogel.«
Roxanne erzählte von dem schillernden Kolibri, der mit akrobatischer Geschicklichkeit zwischen den Blüten der scharlachroten Trompetenblumen herumgesaust war.
Simone sagte: »Sie wirken feurig, findest du nicht? Und kühn.« Sie rollte sich auf den Bauch und bettete die Wange auf ihre verschränkten Arme. »Im nächsten Leben werde ich feurig und kühn sein.«
Victoria und Valli verloren das Interesse an Blättern und Steinen und pflückten für ihre Mutter ein paar Hibiskusblüten. Simone zeigte ihnen, wie man die Stängel in der Mitte spaltete und zu einer Blütenkette verband.
»Sagt Franny, sie soll mit euch zur anderen Hausseite gehen. Dort stehen die Büsche in voller Blüte, und ihr könnt sie alle abzupfen. Eure Tante und ich wollen uns Geheimnisse erzählen, die euch nichts angehen.«
»Was für Geheimnisse?«, fragte Valli.
»Ich mag Geheimnisse«, sagte Victoria.
»Und ich mag dich«, sagte Simone und küsste sie auf ihre runde, sonnenerhitzte Wange. »Aber jetzt trollt euch.«
Sobald die Zwillinge ihnen den Rücken zukehrten, sank Simone stöhnend auf die Decke zurück. »War ich genauso, Roxanne? War ich so unnütz?«
Roxanne fand, dass die Zwillinge zwar nerven konnten, aber dennoch lustig und süß waren. Das sagte sie auch.
»Du musst nicht mit ihnen zusammenleben.« Simone strich mit dem pollenbeladenen Staubgefäß einer Hibiskusblüte über ihre Lippen. »Ein Kolibri verbringt den ganzen Tag damit, seine Nase in Blüten zu tauchen und Pollen und Nektar zu trinken. Sexy, was?«
»Kein Wunder, dass du ständig schwanger bist.«
Simone sah Roxanne mit einem durchtriebenen Lächeln an. »Erinnerst du dich an Shawn Hutton?«
Roxanne hatte die vage Erinnerung an einen mageren
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