Das Gewicht der Liebe
Körper einer schwangeren Frau verlagern müssen, um Raum für den wachsenden Fötus zu schaffen. Eine Schwangerschaft verändert den Körper einer Frau für immer, und obgleich es natürlich möglich ist, wenige Monate nach einer Geburt wieder schwanger zu werden, ist es der Gesundheit nicht unbedingt zuträglich. In primitiven Gesellschaften, wo dies die Norm ist, sind die Frauen mit vierzig entweder tot oder körperlich deutlich gealtert.«
»Also waren es körperliche Veränderungen, die eine postpartale Psychose ausgelöst haben?«
»Anfangs nicht. Anfangs wird sie einfach depressiv gewesen sein. Und obwohl die PPD – die postpartale Depression – so häufig auftritt, dass wir sie sogar für normal halten könnten, würde ich Simones Situation – körperlich und emotional – als eine Art Hurrikan bezeichnen. Von Beginn ihrer ersten Schwangerschaft an steuerte sie auf eine Katastrophe zu.«
»Und was meinen Sie mit Katastrophe, Dr. Balch?«
»Psychose.«
Dr. Balch erklärte der Jury, aufgrund der Tatsache, dass die Gesellschaft eine Mutter nicht darin unterstütze, ihre negativen Gefühle offen zum Ausdruck zu bringen, verlaufe die postpartale Psychose, bis eine Krise auftrete, fast immer unbemerkt. »Ungeachtet der Meinung der meisten Menschen ist die PPD tatsächlich recht verbreitet. Man schätzt, dass bei tausend Fällen von postpartaler Depression ein bis zwei Frauen eine ausgewachsene Psychose entwickeln werden.«
»Wie viele Babys werden in diesem Land jährlich geboren, Dr. Balch?«
»Grob geschätzt, vier Millionen.«
Cabot blickte zur Jury hinüber. »Das sind sehr viele Tausende. Und bei jedem Tausend wird es ein oder zwei Kinder mit einer psychotischen Mutter geben?«
Jackson erhob sich. »Einspruch, Euer Ehren. Diese Zahlen sind sehr allgemein, und Dr. Balch hat keinen wissenschaftlichen Beleg dafür geliefert. Ohne Untermauerung …«
»Dr. Balch ist Expertin auf diesem Gebiet. Und ihre Sta tistiken repräsentieren reale Mütter und Kinder. Wenn man sich die Anzahl der Babys vorstellt, die jährlich allein in diesem Land …«
»Wir verstehen Ihr Argument, Mr. Cabot«, sagte Mac- Arthur. »Ich werde die Aussage zulassen, aber halten Sie die Mathematik fortan heraus.«
»Dr. Balch, warum hören wir, angesichts der vielen Müt ter und Babys auf der Welt, nicht öfter von Frauen, die ihre Kinder töten?«
»Meine Kollegen und ich hören sehr wohl davon. Aber das sind zutiefst verstörende Geschichten, und die meisten Leute wollen sie lieber nicht erfahren. Jeden Tag«, sagte Dr. Balch, »werden Babys von Mädchen, die ihre Schwangerschaft vor der Familie und den Freunden verborgen haben, in dunklen Gassen und Abbruchhäusern geboren. Die Mädchen hinterlassen ihre Babys in Abfallcontainern, im Bus oder vor einer Kirche und gehen wieder in die Schule zurück. Jedes Jahr werden Babys erstickt und weggeworfen. Und für jedes Baby, von dem wir in den Nachrichten erfahren, stehen Hunderte anderer, die nicht gefunden werden, die unbemerkt bleiben.«
»Das klingt nach Mord, nicht nach Psychose.«
»Es ist Mord, ausgelöst durch eine schwere Psychose.«
Außerhalb der Gerichtsmauern schienen Regen und Wind für einen Moment innezuhalten, als würden sie der Tausenden von Babys gedenken, die ungewollt geboren wurden.
»Vorher sagten Sie, Simones Verfassung sei mit einem Hurrikan vergleichbar. Was meinten Sie damit?«
»Die postpartale Depression kann progressiv verlaufen«, sagte Dr. Balch. »Was Mrs. Duran betrifft, so leidet sie seit der Pubertät an einer schweren Depression mit sporadischen manischen Phasen. Infolge der Geburt ihrer ersten Tochter, Merell, wurden ihre Symptome stärker.«
»Inwiefern unterschied sich das von ihrer üblichen affektiven Störung?«
»Während unserer Gespräche offenbarte sie mir, sie habe Merell nie für ihr eigenes Kind gehalten. Sie habe jedoch aufgehört, darüber zu reden, weil ihr Mann sonst an ihrem Geisteszustand gezweifelt hätte. Sie war die meis te Zeit schwer depressiv, und mit jeder nachfolgenden Schwangerschaft – einschließlich der vielen Fehlgebur ten – wurde ihre Depression schlimmer. Aber klinisch gesprochen wurde die Saat für ihre Psychose in ihrer Kindheit gesät.«
»Einspruch. Spekulation.«
David Cabot wandte sich dem Richter zu. »Euer Ehren, zum Zwecke dieser Aussage hat Dr. Balch tiefen Einblick in die Lebensgeschichte meiner Mandantin genommen.«
»Einspruch abgelehnt. Aber ich möchte eine nähere Begründung
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