Das Gewicht des Himmels
spürte, wie Dampf von seiner Haut aufstieg. »Schau dich doch an. Schau dir an, wie du lebst. Das ist kein Künstler-Spleen. Du lebst im Elend. Und ich habe dich finanziert. Warum also erst jetzt?«
»Du bist sauer. Das ist klar, damit hätte ich rechnen sollen. Ich weiß ja, dass du es in letzter Zeit nicht leicht hattest.« Thomas nahm die Hand von Finchs Schulter, ging zu einem der riesigen, bis zum Boden reichenden Fenster und schob den Vorhang zur Seite. »Wäre es so merkwürdig, wenn ich wiederhaben wollte, was ich einmal gehabt habe – genau wie du? «
»Du bist doch derjenige, der mit dem Malen aufgehört hat. Du hast dein Renommee nicht verloren, du hast es langsam aus der Hand gegeben. Hör also auf, mich von oben herab zu behandeln. Und tu nicht so, als wüsstest du über mein Leben Bescheid.«
»Ich erwarte gar nicht, dass du das verstehst.«
Diese Worte waren Finch gut vertraut – und sie schmerzten wie ein Dolch. Ich erwarte gar nicht, dass du das verstehst . Jetzt wusste er, wie Claire sich immer gefühlt haben musste. Wie sehr er sie damit verletzt hatte.
Thomas betrachtete seine Finger und schaute dann auf. »Ob du es glaubst oder nicht, ich habe an dein Wohl gedacht, Denny. Das Bild ist heute viel mehr wert als damals. Ich kann dir alles zurückzahlen, und zwar zehnfach.« Er trank aus und ging wieder zum Büfett, um sich nachzuschenken. Dann hob er das Glas und blickte Finch an. »Mal dir nur den Wirbel aus.«
Den konnte Finch sich lebhaft vorstellen. Dieses schmähliche Verlangen, das er nicht unter Kontrolle bringen konnte, diese Sehnsucht, die sich an den Rand seines Bewusstseins verkrochen hatte, dieser unausgesprochene Wunsch nach einem Bruchteil von dem, was Thomas sein Leben lang bloß verplempert hatte: Geld, Status, Talent – und die Fähigkeit, die Betrachter seiner Werke in Welten zu entführen, von deren Existenz sie nichts geahnt hatten. Finch hatte es fast geschafft, sich einzureden, dass er seine Bücher nur für die Wissenschaft geschrieben hatte. Außer geringen Tantiemen hatte er keinen Vorteil dadurch erlangt. Er war ja auch nicht der Künstler, sondern nur ein Kunstgeschichteprofessor und Kritiker. Er konnte so tun, als verstünde er, was er sah, als verdeutlichte er anderen die Großartigkeit des Künstlers, aber das war letztlich ein dürftiger Beitrag. Ein alter, abgelegter Traum stieg in ihm auf und wirbelte durch sein Hirn. Er wäre derjenige, der als Erster einen neuen Bayber zu sehen bekäme, derjenige, der das Bild nach zwanzig Jahren entdeckte. Er fühlte sich tatsächlich in Versuchung geführt, und die Enttäuschung darüber war genauso real wie die Stimme seiner Frau in seinem Inneren. Auch nach ihrem Tod hatten sie ihre Unterhaltungen weitergeführt. Das Maß ist voll, Denny. Er schob Claire beiseite, dieselben melodischen Silben, die er jeden Tag so verzweifelt heraufbeschwor. Jetzt wurden sie von seinen sich überschlagenden Gedanken verdrängt. Sein Puls raste. Fröstelnd rieb er sich die Hände.
»Dann mal her damit.«
Dieses listige Lächeln. Als wäre er so leicht auszurechnen, so leicht zu überreden.
»Noch nicht, Denny.«
»Was soll das heißen? Ich kann doch schlecht über etwas reden, was ich nicht gesehen habe.«
»Ach, wenn du die Nachricht verbreitest, gibt es genug Wirbel, auch ohne dass jemand irgendwas gesehen hat. Außerdem habe ich das Bild natürlich nicht hier.«
Thomas’ Körper mochte nicht mehr im besten Zustand sein, aber sein Ego war so gesund wie eh und je. »Ich rufe niemanden an, bevor ich es nicht gesehen habe«, erklärte Finch bestimmt.
Thomas tat, als hätte er ihn nicht gehört. »Ich dachte, du könntest Jamesons Sohn bitten, mal einen Blick drauf zu werfen und die Echtheit zu bestätigen. Er arbeitet bei Murchison, nicht? Seit Dylan gestorben ist, geht es ihm anscheinend nicht besonders.«
»Stephen? Stephen Jameson? Du machst wohl Witze.«
»Wieso sollte ich?«
Bildete Finch sich das nur ein oder war Thomas beleidigt, weil sein Vorschlag auf so wenig Begeisterung stieß? »Dieser junge Mann ist unheimlich begabt. Wirklich brillant, vorausgesetzt, man sieht über seine … kleinen Launen hinweg. Aber die Firma würde ihn niemals auf diese Sache ansetzen. Cranston würde ihn nicht alleine schicken. Jedenfalls nicht, um dich zu treffen.«
Thomas reagierte kaum auf diesen Einwand. »Er tut dir leid.« Er lächelte. »Du hast natürlich recht, was Cranston angeht, diesen entsetzlichen Schleimer. Aber du
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