Das Gewicht des Himmels
Büfett, auf dem eine Karaffe stand. »Nimmst du einen Drink mit mir?«
Finch klopfte sich auf die Manteltasche. »Ich bleibe bei meiner Pfeife, wenn du nichts dagegen hast.«
»Jedem sein Lieblingsgift.«
Finch merkte, wie seine Laune sich verschlechterte – und sie war von vornherein nicht besonders gut gewesen. Die Atmosphäre im Zimmer war bedrückend. »Also, Thomas, du hast doch etwas auf dem Herzen.«
Thomas lachte, ein rasselndes Geräusch, das sich bald in ein Husten verwandelte und von den Wänden widerhallte. »Du hältst dich nicht mit unnötiger Diplomatie auf, was? Das weiß ich zu schätzen. Ja, da ist tatsächlich etwas, was ich auf dem Herzen habe.« Er zögerte kurz. Finch trommelte mit den Fingern auf die verschlissene Armlehne. »Was würdest du dazu sagen, wenn ich dich bitten würde, dir ein Bild anzusehen?«
»Von einem Künstler, der dich interessiert?«
»Von dem Künstler, der mich am meisten interessiert. Von mir selbst.«
Finch glaubte, sich verhört haben. »Ich kenne dein gesamtes Œuvre, Thomas. Du weißt, ich bin einer deiner größten Bewunderer, aber du hast seit zwanzig Jahren keinen Pinsel mehr in der Hand gehabt. Das hast du mir selbst gesagt.«
»Zwanzig Jahre. Die Zeit vergeht so langsam – und gleichzeitig so schnell. Und dann wird einem bewusst, wie viel man davon verschwendet hat. Zwanzig Jahre. Ja, das stimmt.« Er kam zurück zu seinem Sessel und stellte sich dahinter, wie um in Deckung zu gehen. »Und was, wenn das Bild nicht neu wäre?«
Finch spürte, wie sein Mund trocken wurde. »Aber dein gesamtes Œuvre ist in meinen Büchern katalogisiert. Und in deinem Werkverzeichnis. Jedes einzelne Bild, bis ins kleinste Detail.«
»Vielleicht doch nicht jedes.« Thomas leerte sein Glas und fuhr sich mit zitternder Hand über das Kinn. »Ich weiß, dass du ein Perfektionist bist. Dass du äußerst gründlich arbeitest. Aber ich hatte meine Gründe dafür, das Bild zurückzuhalten. Und jetzt will ich, dass du es dir als Erster anschaust. Das bin ich dir doch schuldig, oder etwa nicht?«
Thomas’ Stimme hatte einen hypnotischen Ton angenommen. Finchs Gedanken wirbelten wild durcheinander. Ein weiterer Bayber. Das war einfach unmöglich. Zorn stieg in ihm auf, und er ballte die Fäuste. Die ganzen Jahre, die er an seinem Werkverzeichnis gearbeitet hatte, ganz allein in seinem winzigen Arbeitszimmer, ohne Claire und Lydia. Die unzähligen Stunden, in denen er gebeugt über Fotografien gesessen und versucht hatte, die Bedeutung jedes einzelnen Pinselstrichs zu erfassen und die Wahl jedes Farbtons zu begründen. Wie entsetzlich neidisch er darauf gewesen war, dass die Natur so unglaublich viel Talent über einem einzelnen Menschen ausgeschüttet hatte. Über einer unsozialen, selbstsüchtigen Person. Und jetzt sollte es noch einen Bayber geben? Das Zurückhalten dieses Bildes schien unvertretbar, vor allem angesichts der vielen Jahre, die sie sich inzwischen kannten, angesichts ihrer Freundschaft, wenn man es so nennen wollte. Sie hatten sich vertraut. Finch bezahlte Thomas’ Miete aus eigener Tasche und gewährte ihm eine geringe monatliche Summe für Lebensmittel, auch wenn die vermutlich in erster Linie flüssig waren. Und jetzt ein solcher Vertrauensbruch, eine solche Handlung, die Finch zeigte, was Thomas von ihm hielt.
Thomas räusperte sich. »Da ist noch was, Denny. Also die Sache, wegen der ich dich hergebeten habe, natürlich.«
»Natürlich?«
»Ich möchte, dass du das Bild für mich verkaufst.«
»Ich? Entschuldige, Thomas, aber das ist ein Affront.« Finch erhob sich und wanderte einmal im Kreis durch den Raum, dort, wo keine Möbel standen. »Warum ausgerechnet ich? Du könntest genauso gut Stark anrufen oder einen deiner hundert anderen Händler.«
»Ich habe meine Gründe. Ich will nicht, dass das Bild über einen Händler oder durch eine Galerie verkauft wird. Außerdem habe ich schon lange keine geschäftlichen Beziehungen mehr mit Stark.« Thomas ging auf Finch zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich will, dass das Bild direkt zur Versteigerung kommt. Und du hast da doch Kontakte. Du könntest das für mich arrangieren, oder, Denny? Es muss schnell gehen.«
Finchs Kopf brannte. Der Schmerz, den er zuerst im Rücken gespürt hatte, war inzwischen in den ganzen Körper vorgedrungen. Er hätte das Zimmer in Brand stecken können, indem er den Finger an die Tapete legte.
»Du hättest mich schon vor Jahren darum bitten können.« Finch
Weitere Kostenlose Bücher