Das Gewicht des Himmels
sich über seinen Gürtel wölbte, ging unruhig auf und ab, die Hände in den Taschen seines Kamelhaarmantels. Bis auf Cranstons gelegentliche Jammerei über den Regen ergab sich im Auto kein Gespräch, worüber Stephen froh war. Am Tag zuvor hatte der Chef ihm klargemacht, dass er sich von dem Treffen nichts weiter erwartete. Aber angesichts der unwahrscheinlichen Chance, dass Bayber und Finch doch keinen Schwindel planten, sei die Firma eben verpflichtet, die Lage zu prüfen, bevor sie Meldung bei den Behörden machte und die beiden wegen versuchten Betruges anzeigte. Obwohl Cranston die Sache herunterspielte, merkte Stephen genau, dass er über die ungeahnten Möglichkeiten nachdachte, falls an der Geschichte doch etwas dran war. Murchison & Dunne spiel ten für gewöhnlich nicht in dieser Liga, und Cranston malte sich insgeheim wahrscheinlich aus, was ein solcher Coup für den Ruf der Firma – und nicht zuletzt für seinen eigenen – bedeuten würde.
»Stellen wir zunächst mal eins klar, Mr. Jameson: Ich werde das Gespräch führen. Ich weiß nicht, warum diese Anfrage bei Ihnen gelandet ist, aber weil es nun mal so ist, dürfen Sie dabei sein. Natürlich nur in der Rolle des Beobachters.« Das Auto hielt an. Auf dem Gehweg stapelten sich Müllsäcke, daneben stand ein altes Fernsehgerät. Cranston schnaubte. »Hoffen wir in Ihrem Interesse, dass an der Sache nichts faul ist.«
Stephen stöhnte innerlich und nickte. Cranstons Tonfall zeigte ihm deutlich, in welch heikler Lage er sich befand. Seit dem Anruf von Finch am Tag zuvor fragte Stephen sich, ob das Ganze eine Falle war. Hatte da nicht doch etwas Verdächtiges in Finchs stockenden Worten gelegen? Aber selbst dieses Misstrauen konnte seine Vorfreude auf die Begegnung mit Bayber nicht dämpfen. Vor lauter Aufregung, den Künstler persönlich kennenzulernen, hatte Stephen kaum schlafen können.
Sie kämpften sich über die Stufen hinauf, wobei sie sorgfältig dem Unrat auswichen, der sich im Geländer verfangen hatte. Als sie klingelten, ertönte sofort der Türsummer. Niemand fragte durch die Sprechanlage, wer da sei. Der Aufzug war winzig; Stephen, der seinen Werkzeugkoffer an die Brust presste, stand eingezwängt zwischen Cranston und einer gebeugten Frau, die eine kaum behaarte Katze an einer langen Leine auf dem Arm trug.
Kaum hatte Stephen zum Klopfen angesetzt, da öffnete Finch bereits die Tür. Der Professor nahm seine Hand, noch bevor er Cranston begrüßte, und zog ihn in die Wohnung.
»Kommen Sie herein, aber passen Sie auf, wo Sie hintreten. Thomas hat es gern dunkel. Vorhin bin ich auf einem Bleistift ausgerutscht und sah schon mein ganzes Leben an mir vorbeiziehen.«
Er nickte Cranston kurz zu und schloss die Tür hinter ihnen. Dann ging er quer durch den Raum und setzte sich auf seinen angestammten Platz, einen abgeschabten Bergère-Sessel mit hoher Rückenlehne und durchhängenden Polstern.
Verwundert blickte Stephen sich um. Er kam sich vor wie in einer Filmkulisse, in der eine Mischung aus Horrorschocker und Historiendrama gedreht wurde. Schwere, bodenlange Gardinen hielten das Tageslicht ab. Die Wände waren blutrot gestrichen; die Tapeten lösten sich in Streifen ab, als wollten sie fliehen. Die Stuckverzierungen an der Decke hingen voller Staubflocken. Es roch nach abgestandenem Essen und Whiskey. Überall im Zimmer standen Stühle herum, und auf dem Boden waren abgetretene Perserteppiche ähnlich seltsam arrangiert. Das Ganze wirkte wie der Albtraum eines Betrunkenen: ein Alkoholtestparcours, der aus einem Irrgarten aus Möbelstücken und unterschiedlich hohen Schikanen bestand.
Bayber war nirgends zu sehen, aber Stephen hörte wiederholtes Rascheln und gelegentliches Krachen aus einem der anderen Zimmer, als wäre dort ein Tier in einen viel zu kleinen Raum eingesperrt. Der Gedanke daran, dass ein Mann, dessen Können er schon so lange bewunderte, ihm in diesem Moment so nah war und dass er ihm tatsächlich in wenigen Augenblicken die Hand schütteln würde, ließ seinen Mund plötzlich trocken werden. Im Kopf bastelte er sich eine Art Einleitung zusammen, ein paar Worte, die zeigen sollten, dass er wenigstens über ein Mindestmaß an Kenntnissen verfügte, was die Werke dieses Mannes anging.
»Wie schön, dass Sie kommen konnten, vor allem so kurzfristig«, sagte Finch.
»Eine solche Einladung konnten wir doch nicht ausschlagen«, erwiderte Cranston und lächelte Finch schmallippig an. Stephen erkannte, dass Cranston auf
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