Das Gewicht des Himmels
hat ein Werk in der permanenten Ausstellung im Palazzo Venier dei Leoni, in der Guggenheim Collection. Sie haben es ausführlich im Katalog beschrieben. Und Sie waren in der Jury der Biennale di Chianciano.« Als der Professor rasant in die Kurve ging, kam nicht nur Stephens Magen aus dem Gleichgewicht, sondern auch sein kurzes Gefühl der Überlegenheit.
Finch war einen Augenblick still, bevor er antwortete: »Das hat sich erst in jüngerer Zeit entwickelt. Meine Frau ist gestorben. Seitdem bin ich nicht mehr in einem Flughafen gewesen.«
Stephen starrte auf die Fußmatte, dann aus dem regennassen Fenster und wieder zurück auf die Fußmatte. Jetzt hatte er es geschafft. Jetzt war er mitten ins Fettnäpfchen getreten.
»Das wusste ich nicht.« Er beobachtete Finch, der auf den Tacho sah und die vorgeschriebenen Blicke in den Spiegel absolvierte.
»Woher hätten Sie das auch wissen sollen?«
»Wie lange ist das jetzt her?«
»Fast ein Jahr. Ich habe erst ein Thanksgiving, ein Weihnachten, einen Valentinstag ohne sie erlebt. Ich könnte mir noch immer vormachen, dass sie bloß verreist ist.« Er lächelte Stephen schwach an. »Bald habe ich ihre kleinen Fehler alle vergessen. Die vermisst man dann am meisten. Sie nisten sich tief unter der Haut ein, und man verklärt sie im Rückblick.«
»Ist sie mit dem Flugzeug abgestürzt? Das würde Ihr Verhalten erklären, obwohl Flugzeuge trotz allem das sicherste Transportmittel sind. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugzeugabsturz umzukommen, beträgt eins zu elf Millionen, und …«
»Jameson!«
»Manche Menschen finden es beruhigend, die Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Ereignisse zu kennen.«
»Meine Frau war nicht im Flugzeug. Sie hatte nicht mal ein Ticket. Sie wollte ihre Schwester vom Flughafen abholen und starb dort an einem Herzinfarkt.«
Es regnete stärker. Finch schaltete die Wischer ein, deren Blätter die Scheibe verschmierten. Er hätte durchaus selbst seine Schwägerin abholen können an jenem Tag. Was war so wichtig gewesen, dass er sich keine zwei Stunden lang davon freimachen konnte? Ohne Zweifel fiel es in die Kategorie »Arbeit«, und Claire wusste, dass sie dagegen nicht ankam. Wäre er doch nur selbst gefahren, dann hätte sie sich vielleicht ruhig hingesetzt und sich ausgeruht. Ein kleines Schläfchen gemacht und sich erholt.
»Sollen wir rechts ranfahren? Man sollte kein Auto lenken, wenn man sich aufregt.«
Finch schüttelte den Kopf. »Ich bemühe mich sehr, nicht über die Einzelheiten nachzudenken, also die Frage, ob es vermeidbar gewesen wäre, wenn irgendein winziges Detail anders gelaufen wäre. Und wieso sie Claire am Flughafen nicht wiederbeleben konnten.« Er stellte die Scheibenwischer auf eine höhere Geschwindigkeit. »Nicht immer ist ein Arzt in der Nähe, wenn man gerade einen braucht.«
»Und was hat das mit dem Fliegen zu tun?«
»Es geht um den Flughafen, nicht ums Fliegen. Die ständigen Durchsagen, das Gepiepe dieser Golfkarren, die Menschen, die aussehen, als würden sie im Schlafanzug verreisen, die Sicherheitsleute, die Polizisten. Das ganze Personal, das für Notfälle ausgebildet ist, und dann stehen sie bloß da und glotzen meine Frau an, wie sie auf dem Boden liegt.« Finchs Daumen drückte fest auf die Vinylhülle des Lenkrads, so fest, dass alles Blut aus ihm wich. »Und ich denke über die Schuhe nach.«
»Das ist klar.«
Finch hob den Blick und sah ihn an. »Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja, natürlich.« Stephen wies auf die Windschutzscheibe. »Sollten Sie sich nicht aufs Fahren konzentrieren?«
»Sagen Sie mir, was ich meine.«
»In so einem Flughafen befinden sich ständig Hunderte von Menschen. So viele Leute, die alle über denselben Fleck gehen. Der Boden da ist dreckig. Richtig schmutzig. Ich kann verstehen, dass Sie sich lieber nicht vorstellen wollen, wie sie dort liegt.«
Finch ging leicht vom Gaspedal. »Ja, das ist wirklich schlimm für mich.«
»Sie müssen jetzt wohl für sich selbst kochen?«
Finch starrte ihn entsetzt an, brach dann aber in ein Lachen aus, das tief aus seinem Inneren zu kommen schien. »Sie meinen, ob ich sie vermisse? Ja. Ich vermisse sie jede einzelne Sekunde.«
»Das kann ich mir kaum vorstellen«, sagte Stephen.
»Ich glaube, das können Sie durchaus.« Vor ihnen leuchteten Bremslichter auf. Finch wurde langsamer und umkurvte eine Matratze, die mitten auf der Fahrbahn lag. »Als Ihr Vater starb, waren Sie gerade in Europa, nicht?«
Stephen wand sich
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