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Das Gewicht des Himmels

Das Gewicht des Himmels

Titel: Das Gewicht des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Guzeman
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jemanden betrachtete, der Mitleid brauchte, war ernüchternd, aber ihre Antwort auf seine Frage war helles Gelächter, ein Freudenausbruch, der durch Stephens Telefonkabel geschossen kam und in seinem düsteren Wohnzimmer wie eine Silvesterrakete explodierte. Wenigstens konnte er sie zum Lachen bringen. Das war immerhin etwas. Noch dazu um diese Uhrzeit. Es war neun Uhr morgens, und Lydias Stimme klang, als wäre sie schon seit Stunden auf den Beinen. Wahrscheinlich pfiff sie manchmal sogar fröhlich vor sich hin. Und war dauerhaft gut gelaunt.
    »Nein, Stephen, das ist keine Einladung aus Mitleid. Sie und mein Vater haben so viele Stunden zusammen an diesem geheimnisvollen Projekt gearbeitet, dass ich dachte, es wäre vielleicht schön, wenn Sie sich mal in einem netteren Rahmen treffen würden, gerade jetzt, wo die Feiertage vor der Tür stehen. Wie wär’s denn diesen Samstag? Um sieben?«
    »Wird Ihr Mann auch dabei sein?« Wie hieß der Mann noch gleich? Er erinnerte sich an eine überschwängliche Begrüßung und extrem warme Handflächen. Warm. Also irgendwas, das mit der Temperatur zu tun hatte. Fahrenheit. Celsius. Rankine. Kelvin. Das war’s – Kelvin, die Einheit mit dem absoluten Nullpunkt. Eine wirklich zutreffende Beschreibung. Null. Warum fanden Frauen Männer mit so weißen Zähnen überhaupt attraktiv?
    »Da ich Sie zu uns nach Hause einlade, wird Kevin auch dabei sein.«
    »Oh.«
    Er zählte bis vier – erst dann fragte sie, ob sein »Oh« bedeute, dass er kommen werde.
    »Ja. Es bedeutet ja. Ich esse aber keinen Spinat, falls Sie daran gedacht hatten.«
    »Ich werde es mir merken. Ich sehe, warum Sie und mein Vater sich so gut verstehen, Stephen. Sie beide haben viel gemeinsam.«
    Stimmte das tatsächlich? Er dachte darüber nach, als er aufgelegt hatte. Er mochte Finch, und er ging davon aus, dass der durchaus mitverantwortlich war für die Wohlgeratenheit seiner Tochter Lydia. An ihr hatte Stephen einen Narren gefressen, seit er sie in Finchs Wohnung kennengelernt hatte – das hatten sie also gemeinsam. Sie war mit einem scharfen Curry für ihren Vater vorbeigekommen, weil sie gelesen hatte, dass Gelbwurz gut gegen Entzündungen und Verdauungsprobleme sei. Finch hatte bloß die Augen verdreht, aber Stephen hatte sich sofort in sie verliebt. Da war zwar noch das Hindernis in Form ihres Ehemanns, deswegen verehrte er sie zunächst nur von ferne, aber irgendwann würde sie schon zur Vernunft kommen und diesen Hampelmann verlassen.
    Was ihr geheimnisvolles Projekt betraf, so fragte er sich, wieso Finch ihr nicht gesagt hatte, worum es ging. Andererseits hatte er selbst das Thema gewechselt, als seine Mutter ihm einige Tage zuvor beim Thanksgiving-Essen dieselbe Frage gestellt hatte. Und woran arbeitest du in letzter Zeit so, Stephen? Er hatte angefangen, es ihr zu erzählen, sich dann aber gebremst, weil er bemerkte, dass ihm das Geheimniskrämerische an der Arbeit eigentlich großen Spaß machte. Wenn er erwähnte, dass er Thomas Bayber kennengelernt hatte, würde sie ihn entweder mit tausend Fragen löchern (und er würde an ihren ständigen begeisterten Ausrufen verzweifeln) oder total desinteressiert reagieren, was ihn sicher verletzen würde. Außerdem würde jedes Gespräch über Malerei die Erinnerung an den verstorbenen Vater und Ehemann heraufbeschwören, und es war auch ohne das schon schwierig genug, das traditionell spannungs geladene Feiertagsessen zu überstehen.
    Bis zum Samstag, dem ersten Dezember, waren es noch fünf Tage. Das bedeutete, er musste die Zeit, bevor er Lydia traf, irgendwie herumbringen. Er brauchte ein Mitbringsel. Vielleicht eine edle Seife. Frauen mochten schicke Seife, sie schien auf irgendeine Art ein Gradmesser für den Erfolg einer Gastgeberin zu sein. Im Badezimmer seiner Mutter stand immer ein glockenförmiges Glas mit aufwendig eingepackten kleinen Seifenstücken. Was passierte damit eigentlich, wenn man sie einmal benutzt hatte? Wurden sie dann weggeworfen? Wieder eingepackt? Es erschien ihm wie eine große Verschwendung. Aber noch mehr beschäftigte ihn der Gedanke, was Lydia von ihm denken würde, wenn er ihr ein solches Geschenk machte. Würde sie dann glauben, er hielte sie für ungewaschen oder für eine schlechte Gastgeberin? Vielleicht sollte er ihr lieber ein Fläschchen Parfüm schenken. Aber da war ja noch Kelvin, und Stephen dachte sich, dass er ein derartiges Mitbringsel bestimmt nicht goutieren würde.
    Stephen hatte – wenn auch

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