Das Gewicht des Himmels
widerwillig – Finchs Vorschlag zugestimmt, dass sie getrennt weiterarbeiteten, um zum Erfolg zu kommen – oder wenigstens etwas fanden, woran sie anknüpfen konnten. Finch verbrachte die Woche damit, die von Mrs. Blankenship zusammengestellte persönliche Korrespondenz Baybers gründlich durchzugehen. Er hatte zugegeben, sich bislang nur oberflächlich damit beschäftigt zu haben. Stephen dagegen sollte sich auf die mittlere Tafel des Triptychons konzentrieren. Am Sonntag wollten sie sich treffen und ihre Ergebnisse austauschen.
Um das Bild datieren zu können, befasste sich Stephen den ersten Teil der Woche intensiv mit den anderen Werken Baybers. Er suchte nach Auffälligkeiten, beispielsweise irgendwelchen Abweichungen in der Art, wie der Maler mit dem negativen Raum umging, nach Stellen, an denen seine Pinselstriche absichtlich sperrig gerieten, nach unge wöhnlichen Farben, die er sonst nie benutzte. Am Donners tagmorgen hatte er genug von der Bibliothek und sehnte sich nach dem Labor.
Nachdem Cranston begriffen hatte, was dieser Fall rein finanziell für Murchison & Dunne abwerfen konnte (ganz zu schweigen vom Prestigegewinn), hatte er eine stattliche Summe freigegeben, die Stephen Zutritt zu einem privaten forensischen Labor ermöglichte. Dort gab es Geräte, die Stephens Herz höher schlagen ließen: Hyperspektralsensoren, mit denen man historische Dokumente prüfen konnte, Multispektralsensoren, um Gemälde zu untersuchen, einen Gas-Chromatografen zur Analyse von Öl, Acryl und Wachs. Sogar einen nagelneuen Röntgenapparat mit Grenz strahlen hatte er zur Verfügung.
Nachdem Stephen seinen Zugangsausweis vor einen Sen sor gehalten hatte, musste er ihn an einem zweiten Kontrollpunkt noch einmal vorzeigen, wo außerdem ein Irisscan vorgenommen wurde. Nur wer diese Tests bestand, durfte in den Bereich vordringen, in dem das Gemälde gelagert wurde. Stephen fand es zwar leicht beunruhigend, dass ein Bild seiner Iris bis in alle Ewigkeit irgendwo gespeichert blieb, aber die wissenschaftliche Schönheit der biometrischen Identifikation begeisterte ihn.
Er legte sein Notizbuch auf den Tisch des Arbeitsraums und ging die Liste der Untersuchungen durch, die er erledigen wollte. Cranston hatte ihm in aller Deutlichkeit klargemacht, dass die Ergebnisse absolut hieb- und stichfest sein mussten, darum begann Stephen mit dem Naheliegenden, nämlich der Signatur.
Das Labor verfügte über eine beachtliche Sammlung von Signatur- und Monogrammlexika. Stephen hatte Baybers Signatur auf dem Gemälde bereits einige Tage zuvor fotografiert und nahm das Bild jetzt aus einem Umschlag. Er untersuchte es mit einer Lupe und verglich es mit früheren Signaturen. Dann projizierte er möglichst viele Beispiele vergrößert an die Wand und studierte sie nebeneinander. In diesem Maßstab wurden die Schwünge der Buchstaben zu Straßen, die eine unauffällige Landschaft durchschnitten. Wenn man die Handschrift eines Künstlers über lange Zeit hinweg verfolgte, konnte man feststellen, ob sich Veränderungen des zentralen Nervensystems eingestellt hatten, konnte sogar auf Parkinson, Zwangskrankheiten oder Schizophrenie schließen. Oder auf langjährigen Alkoholmissbrauch. Aber Baybers letztes Werk stammte aus einer Zeit, als er noch relativ jung gewesen war, erst zweiundfünfzig, und seine Signatur lieferte keinen Hinweis auf einen körperlichen oder psychischen Verfall.
Stephen machte sich ausführliche Notizen – wie gut, dass niemand an seiner eigenen Handschrift interessiert war! Dann begab er sich in einen anderen Raum, um mit einem der Techniker über die notwendigen Röntgenuntersuchungen zu sprechen. Die Mitarbeiter des Labors verstanden ihr Handwerk, schienen jedoch komplett desinteressiert an dem, was sie da eigentlich durchleuchteten. Das kam Stephen durchaus gelegen, machten er und Cranston sich doch große Sorgen darüber, dass die Information von der Existenz des Bildes nach außen dringen könnte. Bayber hatte zwar den Vertrag unterschrieben, der Murchison & Dunne das Recht zum Verkauf des Werkes abtrat, aber die Abmachung galt nur, wenn Stephen und Finch die beiden anderen Tafeln auch fanden. Stephens Erfahrung nach waren Abmachungen oft nur symbolischer Natur, sei es zwischen Geschäftspartnern oder Liebhabern. Ein Bataillon teurer Anwälte konnte die Sachlage in null Komma nichts auf den Kopf stellen, und wenn sich die Nachricht verbreitete, dass es irgendwo da draußen zwei unbekannte Baybers gab, dann konnte
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