Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Sacht öffnete er Sutters Mund und schmierte ihm die klebrige Masse auf die Zunge.
Dann warteten sie mehrere Minuten lang beim Zischen der Laterne in dem stinkenden Zelt. Sutter blieb noch eine Weile reglos liegen, doch schließlich öffnete er die Augen. Er begann sich im Stroh zu winden und spuckte aus, als hätte er einen abscheulichen Geschmack auf den Lippen. »Was bei allen Himmeln hast du mir in den Mund gesteckt?«
»Das willst du lieber nicht wissen.« Tahn legte Col’Wrent dankbar eine Hand auf die Schulter und spürte die dicke, raue Haut des Lul’Masi unter den Fingern.
Plötzlich wurde Sutter bewusst, wo er sich befand, und er starrte in das riesige Gesicht seines Retters empor. Hastig wich er an die Seite des Käfigs zurück und versuchte ungeschickt, sein Schwert zu ziehen.
»Schon gut, Sutter. Das brauchst du nicht.« Tahn deutete auf Sutters Schwert. »Der Born hat dich vergiftet, und der Born hat dich geheilt. Ein ›Danke‹ wäre vielleicht angebracht.«
Sutter starrte ihn ungläubig an. »Danke?«
»Gut«, sagte Tahn.
Hinter ihnen rief Alisandra: »Sieht so aus, als wärt ihr fertig. Also will ich jetzt mein restliches Geld haben.«
Tahn hielt ihr den Rücken zugewandt und sagte leise: »Das Mädchen ist schnell und argwöhnisch. Sie wird dir nicht erlauben, dich der Tür zu nähern. Ich gehe hinaus und nehme ihr den Schlüssel ab …«
»Nein«, unterbrach Col’Wrent in seinem tiefen Flüstern. »Ihr Misstrauen wird dich daran hindern. Das Zeltvolk gedeiht, weil Tenendra gierig sind und davon ausgehen, alle anderen seien genau wie sie. Du würdest nur ihre Klinge zu spüren bekommen.«
»Wie dann?«, fragte Tahn.
»Was ist da drin los?«, fragte Alisandra ungeduldig.
»Ja, was soll das?«, echote Sutter.
»Sutter. Halt ausnahmsweise mal den Mund.«
Alisandra rief wieder nach ihm. »Deinem Freund geht es besser. Kommt da heraus.«
»Welche Bestechung hat dir Zugang zu meinem Käfig verschafft?«, fragte Col’Wrent mit einem Hauch von Abscheu in der Flüsterstimme.
»Drei und sechs«, entgegnete Tahn.
»Und du warst klug genug, einen Teil des Geldes zurückzuhalten?«
»Ja. Eine Hälfte vorher, eine danach.«
Der Lul’Masi warf einen Blick über Tahns Schulter. Seine geduldigen Augen musterten die Käfigtür und richteten den Blick dann wieder auf Tahn. »Sag ihr, wie einfach und dumm ich bin. Sag ihr, du glaubst, du hättest mir bereits einfache Kunststückchen beigebracht, wie einem Hund. Du hättest mich darauf trainiert, die Hand zu heben, und würdest mir befehlen, ihr den Rest ihrer Bezahlung auf meiner unterwürfig hingestreckten Hand zu reichen. Das Zeltvolk ist argwöhnisch, aber ihre Raffgier und Skrupellosigkeit sind stärker als ihre Vorsicht. Ich werde mitspielen, bis ihre Hand meiner so nah ist, dass ich sie packen kann.«
Der Ausdruck in Col’Wrents Augen war nicht mörderisch. Allerdings hatte Tahn noch gar keine starke Regung darin gesehen. Den Lul’Masi hier einzusperren war falsch, aber er wollte nicht, dass Alisandra erschlagen wurde.
»Ich kann dir nicht helfen, wenn du vorhast, sie zu töten«, erklärte Tahn.
Col’Wrents Brauen schoben sich zusammen. Der Lul’Masi richtete sich auf. Tahn musste den Kopf in den Nacken legen, um zu dem gewaltigen Geschöpf hochzuschauen. Langsam hob Col’Wrent beide Arme dem Zeltdach entgegen, und während er sie wieder sinken ließ, führte er sie vor sich zusammen. Vor Tahns Brust berührten sich seine Hände. Der Lul’Masi verschränkte die Daumen miteinander und drückte die Handflächen an Tahns Brust. Verwundert blickte Tahn zu ihm auf. Col’Wrent zog die Hände zurück und sagte ernst: »Ich schwöre dir, vom Himmel herab zu dir, dass ich tun werde, was du verlangst.«
Tahn holte seinen Beutel hervor und zählte die Münzen in Col’Wrents riesige Hand. Dann drehte er sich um, setzte ein selbstzufriedenes Grinsen auf und ging seelenruhig zur Käfigtür.
»Ein Niederer, in der Tat«, sagte Tahn zu Alisandra, als er das Gitter erreichte. »Aber wohl kaum ein Ungeheuer, wie du behauptet hast. Er hat den Verstand eines Kindes.«
»Aber den Körper eines Bar’dyn«, wandte Alisandra ein.
»So etwas habe ich noch nie gesehen«, erklärte Tahn. Er lehnte sich lässig an die Innenseite des Gitters. »Ein Hund beißt, wenn er bedroht oder in die Ecke gedrängt wird«, fuhr er fort. »Aber wenn man den Hund kurz an sich schnuppern lässt und keine Angst zeigt, lässt er jeden ins Haus. Man kann ihn sogar
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