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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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können.
    Das waren dumme Gedanken.
    Damals war er streng dem Pfad des Ordens gefolgt, der es verbot, jemals den Willen zu lenken, um aus Zorn, Hilflosigkeit oder Angst einen anderen Menschen zu verletzen. An diesem Weg hielten die meisten Sheson immer noch fest. Nicht so Vendanji – nein, nicht mehr seit dem Tag, an dem die Einhaltung dieses Prinzips ihn so viel gekostet hatte.
    Vendanji schüttelte den Kopf. Es konnte nichts Gutes daraus entstehen, die Vergangenheit immer wieder zu durchleben. Jetzt waren allein die Entscheidungen von heute und morgen von Bedeutung. Für diese Lektion hatte er teuer bezahlt. Andere erkannten das nicht so klar. Doch wenn es um wichtige Dinge ging, wie die Bedrohung durch die Stille und die Entscheidungen, die ihn und einige andere noch erwarteten, deren Schicksal nun ebenfalls am Ausgang ihres Besuchs am Fels der Erinnerung hing … in diesen Dingen würde Vendanji sie zur Erkenntnis zwingen. Nicht nur wegen der Narben, die seine eigene Vergangenheit hinterlassen hatte, sondern auch, weil irgendjemand das tun musste. Denn ansonsten wären die Verletzungen eines Menschen nichtig und bedeutungslos.
    Und für Vendanji durfte das niemals so sein.

44
    STEINSBERG
    D ie Schlucht erinnerte Tahn an ein kleines, kastenförmiges Tal in der Nähe des Jedwick-Kamms im Helligtal. Allerdings erschien ihm diese hier wie künstlich geschaffen. Vor ihm zog sie sich in den Fels hinein, und es sah aus, als träfen die Wände weiter vorn zusammen. Einigen Vögeln war es gelungen, hoch oben an kleinen Vorsprüngen der glatten Klippen Nester zu bauen. Die Felswände ragten über hundert Schritt vom Grund der Schlucht empor. Darüber nahm sich der Himmel aus wie ein Fluss, den man von hoch oben betrachtet. Das Gefühl, zugleich nach oben und nach unten zu schauen, ließ Tahn im Sattel schwanken.
    Er setzte sich wieder gerade hin und bemerkte zwei Reliefs, die an den Seiten des Eingangs in den Stein gemeißelt waren. Eines zeigte einen Mann, das andere eine Frau, beide mit fest geschlossenem Mund. Das kam Tahn sehr seltsam vor, unheimlich.
    »Komm schon«, drängte Sutter. »Wir haben es eilig.« Sein Freund trieb sein Pferd im Galopp die Schlucht entlang.
    Tahn starrte dem Rübenbauer nach, der die Schlucht hinunterjagte. Irgendetwas nagte an ihm, und er betastete wieder einmal die Stäbchen, die in seinem Umhang versteckt waren, um sich zu vergewissern, dass sie noch da waren. Dann folgte er Sutter.
    Die Schlucht war länger und tiefer, als Tahn für möglich gehalten hätte. Die Felswände stiegen auf beiden Seiten immer weiter an, obwohl die Breite der Schlucht gleich blieb. Ihm wurde nicht mehr schwindlig, wenn er nach oben schaute, denn das schmale Band Himmel verjüngte sich zu einem dünnen blauen Strich, und der obere Rand der Klippen war gar nicht mehr zu sehen.
    Unter Joles eisenbeschlagenen Hufen war weicher Lehmboden, der ihren Hufschlag dämpfte. Auf einmal fielen Tahn die beiden Figuren mit den zusammengepressten Lippen wieder ein, und ihm kam ein Gedanke. Er hielt inne und drehte sich um. Sutter blieb neben ihm stehen.
    Tahn formte mit beiden Händen einen Trichter vor dem Mund und rief: »Hallo.«
    Der Wort stieg an den harten, glatten Wänden der schmalen Schlucht empor. Ein langes, tiefes Echo wurde zurückgeworfen und dann noch eines, kaum leiser als das erste. Bald wiederholte ein ganzer Chor von Stimmen das Wort, es rauschte und donnerte wie ein Wasserfall. Die Silben verselbständigten sich, und das Wort als solches war nicht mehr herauszuhören. Der Lärm klang nun wie das Stimmengewirr einer Menschenmenge. Und er entwickelte eine seltsame Kraft, unterbrach jeden Gedanken und brachte Tahn völlig durcheinander.
    Als der Lärm endlich verebbt war, beugte sich Sutter dicht zu ihm heran und flüsterte: »Tolle Entdeckung, Eichhörnchen. Aber nicht einmal ich würde das ein zweites Mal ausprobieren.«
    Sie ritten noch eine ganze Weile, bis sie das Ende der schmalen Schlucht erreichten. Die Abenddämmerung senkte sich rasch herab, und in der Schlucht wurde es noch schneller dunkel. Sie mussten sehr aufpassen, um nicht gegen den Fels zu stoßen.
    Als die Wände sich endlich auftaten, war es, als schauten sie in einen ausgehöhlten Berg hinab. In einem gewaltigen Talkessel lag eine Stadt mit etwa einer Wegstunde Durchmesser. In einem großen Kreis ragten steile Felsenklippen um das große Tal auf, mal höher, mal niedriger, und das Ganze sah aus wie ein riesiger Krater. Von da, wo er

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