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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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lang.
    Die Gestalt kauerte nur zwanzig Schritt von ihnen entfernt, und Tahn fürchtete, selbst ein lauter Atemzug könnte sie verraten.
    Plötzlich reckte die Gestalt beide Arme zum Himmel. Sie ballte die langen, dünnen Finger zu knochigen Fäusten, schüttelte sie zornig, hob den Kopf und stieß ein fauchendes Kreischen aus. Tahn bekam augenblicklich eine Gänsehaut, und seine Muskeln erlahmten. Seine Finger und Zehen kribbelten, und sein Herzschlag pochte in den Schläfen. Er wollte sich zurückziehen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Wenn er sich jetzt bewegte, würde er ganz sicher stolpern und die Gestalt auf sich aufmerksam machen.
    Also hielt Tahn still und wartete ab. Die Anspannung wurde unerträglich, und er war sich sicher, dass diese Kreatur jeden Moment herumwirbeln und die knochigen Fäuste so leicht in seine Brust bohren würde, wie sie eben in der harten Erde gewühlt hatten.
    Schließlich richtete sich das Ding auf und huschte von dem Grab weg. Gleich darauf war es hinter einem kleinen Wald aus Grabsteinen in der Dunkelheit verschwunden. Tahn ließ sich an die kühle Mauer des Mausoleums sinken und presste das Gesicht daran. Sutter flüsterte eine Frage, doch Tahn verstand ihn nicht, so laut rauschte ihm das Blut in den Ohren.
    Reflexartig zeichnete er den vertrauten Umriss der Narbe auf seinem linken Handrücken nach. Diese Form beruhigte ihn, und allmählich bekam er seinen hektischen Atem in den Griff. Er schwieg noch mehrere Minuten lang und schüttelte auf Sutters fragende Blicke hin nur den Kopf. Als er sich endlich sicher genug fühlte, um zu sprechen, war das letzte Tageslicht vollständig vom Himmel gewichen, und die Sterne strahlten auf einem samtenen Hintergrund, der in einem großen Kreis endete, wo die Felswände in die Nacht ragten.
    »Da war etwas«, sagte er. »Ich weiß nicht, was. Es hat in einem Grab gewühlt.« Er schilderte seinem Freund nicht, dass das Geschöpf keine Erde hatte beiseiteschaufeln müssen, sondern den Arm einfach so in den harten Boden gestoßen hatte.
    »Warum hast du mich nicht auch mal schauen lassen?«, fragte Sutter, in dessen Besorgnis sich Ärger mischte.
    »Wenn du dich bewegt hättest, wäre es sofort hergekommen.«
    »Na und?«, prahlte Sutter. »Wir haben ganz allein einen Fährtenleser erledigt.«
    Tahn berührte den Verband an seinem Hals, den er noch immer trug. Doch statt seinem Freund zu erklären, dass dieses Geschöpf ihm mehr Angst einjagte, als der Fährtenleser ihm gemacht hatte, nickte er nur. »Nächstes Mal.« Er spähte um die Ecke des Mausoleums und hielt sorgfältig Ausschau nach irgendeiner Bewegung. Nichts. Mit halb gespanntem Bogen ging er Sutter voran über den Friedhof zu der niedrigen Mau er, die den Totenacker von der verlassenen Stadt trennte.
    Die ersten Gebäude, auf die sie stießen, waren Wohnhäuser, die meisten einstöckig. An den Wänden lagen ein paar Körbe und Eimer, vom Wind dorthin geweht und von Ratten und anderem Getier angenagt, das jetzt in der Stadt hauste.
    Im Schutz der Dunkelheit schlich Tahn langsam weiter. Er hielt vor jeder leeren Fensteröffnung, jeder offenen Tür und jeder Straßenecke und rechnete damit, dass ein Gesicht oder ein Arm aus der Dunkelheit auftauchen würde. Sutter schnaubte gereizt, aber Tahn beeilte sich nicht. Weiter im Inneren der Stadt waren die Gebäude zwei, drei oder vier Stockwerke hoch. Hier drang weniger Sternenlicht bis auf die Straßen, und die unteren Stockwerke verschwammen in tiefem Schatten.
    »Das hat keinen Sinn«, flüsterte Tahn. »Suchen wir uns irgendwo einen Platz für die Nacht, und bei Sonnenaufgang reisen wir weiter.«
    »Von mir aus, aber nur, wenn wir uns eines von diesen prächtigen alten Häusern aussuchen«, sagte Sutter. »Ich will einmal schlafen wie ein hoher Herr.«
    Tahn schüttelte den Kopf. »Holen wir lieber die Pferde.«
    Sie kehrten um und ritten bald darauf zu derselben Straße zurück. Tahn deutete auf ein hoch aufragendes Gebäude links von ihnen. Im schwachen Sternenlicht waren mehrere Fenster zu erkennen, die weder Fensterläden noch Scheiben hatten. Das große Haus hatte auch keine Tür, denn die war offenbar längst verrottet oder von Termiten gefressen worden.
    Tahn schlich hinein und bemühte sich, möglichst leise aufzutreten. Sutter machte mehr Lärm, hielt dann inne, holte eine Kerze aus seinem Bündel und zündete sie an. Der Raum erinnerte an eine Höhle: Die Decke war zwei Manneslängen hoch, Steinbrocken hatten sich aus den

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