Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Wänden gelöst, und über allem lag der einsame Geruch von altem Staub. In der Nähe der Fenster schimmerten Glasscherben. Die Bilder an den Wänden waren vor Alter gelblich verblasst. Ein paar kaputte Tische und Stühle, zerbrochen, fleckig und teils ineinander verkeilt, waren im Raum verstreut.
Tahn band die Pferde im benachbarten Zimmer an und ging dann zu der Wand an der Innenseite, die weder Fenster noch Türen hatte. Mit dem Stiefel fegte er den Schutt beiseite und ließ sich dann nieder, den Rücken an den harten Stein gelehnt. Sutter setzte sich neben ihn, legte sich das Schwert quer über die Knie und seufzte müde.
»Ist das das Abenteuer, das du wolltest?«, flüsterte Tahn.
Sutter gab ein dumpfes Kichern von sich. »Eichhörnchen, du vergisst, dass ich deinen Grabräuber nicht gesehen habe.«
Tahn zog seinen Umhang fester um sich, als die nächtliche Kühle hereinkroch. »Vielleicht verrät er mir ja, wie ich dich verscharren kann, ohne Verdacht zu erregen.«
»Das würde dir nichts nützen, Eichhörnchen«, erwiderte Sutter, löschte die Kerze und schloss die Augen. »Ich besitze die Gabe, mich unter Wurzeln hervorzugraben. Unterwegs finde ich wahrscheinlich noch etwas Gutes zu essen.«
Der Rübenbauer schlief ein und ließ Tahn allein mit der Dunkelheit zurück. Wie viel wohler er sich gefühlt hätte, wenn Mira in der Nähe gewacht hätte! Er betastete die Stäbchen in s einem Umhang und fragte sich, ob die anderen Decalam sch on erreicht hatten, ob sie den dunklen Wolken an der Nordwand überhaupt entkommen waren.
Die Bilder und Ereignisse in der kurzen Zeit seit Nordsonn tanzten und wirbelten ihm im Kopf herum. Er kauerte sich an die Wand und starrte durch ein leeres, dunkles Fenster hinaus auf die verlassene Straße. So viele fremde, neue Dinge schwirrten durch seine Gedanken, dass er bald nicht mehr unterscheiden konnte, ob er wachte oder schlief und träumte.
Seine Füße schlurften über den kahlen Boden und hinterließen kleine Furchen im Staub des Weges. Die Sonne stand fast an ihrem höchsten Punkt. Ihre Hitze drückte wie das Joch eines Ochsenkarrens auf seine Schultern. Kein Lufthauch regte sich. Er war umgeben vom schmerzlich geduldigen Geruch alter Salbeipflanzen und der gebackenen Erde unter der grausamen Sonne. Der Horizont waberte vor Hitze, die Höhen und Tiefen der Landschaft verschwammen.
Tahn stolperte und fing sich mit den Händen auf dem heißen Boden ab. Er ließ sich auf die Knie sinken und erlaubte sich, ein wenig auszuruhen, blickte mit müden, halb geschlossenen Augen in das grelle Licht, das vom blassblauen Himmel fiel. Das Firmament wirkte wie ausgebleicht und verwaschen, keine Wolke war zu sehen. Bilder stiegen vor seinem inneren Auge auf: flatternde Pergamentblätter im Wind, eine Frau mit einem Kind, noch nass von der Geburt, weiche, von Hand genähte Kissen aus kostbarem, rotem Stoff, in leichten Bögen vor einem Podium aufgereiht. Auf einmal war ihm furchtbar kalt. Tahn starrte hasserfüllt zur Sonne empor.
»Da hängst du in deiner Pracht, und dennoch friere ich.« Er stieß den Atem aus und sah ihn als Wölkchen in der Luft wie mitten im Winter.
»Ah, du verstehst es also doch«, sagte eine vertraute Stimme leise.
Tahn fuhr herum.
Hinter ihm stand ein elegant wirkender Mann so aufrecht, als posiere er für ein Porträt. Ein schweres weißes Gewand hing in mehreren Schichten von seinen Schultern, vorn am Hals von einer Silbernadel zusammengehalten. Das Schmuckstück zeigte einen Kreis, in dessen Innerem eine kleine Scheibe befestigt war. Er hatte seidiges, langes weißes Haar, und auch seine Hände waren beinahe weiß.
»Was verstehe ich?«, fragte Tahn.
»Du sagst, du frierst hier«, fuhr der Mann fort. »Warum ist dir kalt, Tahn, obwohl dir der Schweiß auf der Stirn steht? Entscheidest du dich dafür zu frieren? Ist es deine Wahl, hier zu sein?« Der Mann ließ verächtlich den Blick über die Welt um sie herum schweifen.
Tahn folgte seinem Blick und starrte dann wieder die glatte Haut des Fremden an. »Ich weiß es nicht«, antwortete er.
»Wie erbärmlich«, höhnte der Mann. »Pflichtbewusst und unwissend. Du bist eine Gefahr, Quilleszent, aber nur für dich selbst.« Empörung ließ seine Augen aufflammen. »Ich habe diese Spiele satt, Melura! Ich habe sie satt, die Albernheiten eitler Männer, übersättigt von der Macht, die ich ihnen ermöglicht habe. Edelmut? Ha! Das ist vorbei, verstehst du, Melura? Du magst nicht erkennen, was sie tun,
Weitere Kostenlose Bücher