Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
auf die ruhige, sichere Hand der Frau, die den Säugling fütterte.
»Das Kind wird keinen Hunger leiden«, entgegnete der Hügelländer. »Dafür werde ich sorgen. Doch ansonsten können wir hier nicht viel versprechen. Und was immer wir Euch geben, wird uns für die Versorgung des Kindes fehlen.«
Der Besucher blickte wieder zu ihm auf, mit Augen, die von langen Jahren unter der drückenden Sonne wie ausgebleicht wirkten. Sein eigener Lohn in dieser Sache war hart verdient. »Eure Zusagen sind nicht eben üppig, Freund. Es gibt genug andere, die ein so gesundes Kind haben wollen. Ein paar Tagesreisen mehr, und ich könnte mit volleren Taschen heimkehren.«
Der Hügelländer zögerte nicht. »Das ist Eure Entscheidung. Ich halte nichts von Spielchen um den Einsatz eines Kindes. Ich kann dem Kleinen mein Heim bieten und ihn alles über die Hügel lehren. Ich mache mir nichts vor, das ist nicht eben viel. Und vielleicht ist dies doch nicht der beste Platz für das Kind. Wir werden genug damit zu tun haben, den Leuten zu erklären, wie es überhaupt zu uns kam und woher. Diese Fragen werden sich schwerlich vermeiden lassen, und die Wahrheit bringt auch Gefahren in unser Haus, wenn Ihr versteht, was ich damit sagen will.«
Der Mann musterte den Hügelländer. »In der Tat. Aber ich muss meine eigenen Bücher ausgleichen.« Er erhob sich. »Als Bezahlung verlange ich Euren Eid. Und glaubt mir, dass ich diese Schuld einfordern werde, falls Ihr unsere Vereinbarung brecht. Die wahren Eltern, die Herkunft des Kindes, sogar ich, das alles spielt jetzt keine Rolle mehr. Ihr werdet keine Fragen stellen oder Fragen beantworten. Und Euer Bund mit dem Kind wird so sein, als hätte Eure Frau es von Euren eigenen Lenden geboren.«
Der Hügelländer tat drei große Schritte auf ihn zu und streckte die Hand aus. Die beiden reichten sich die Hände, und der Hügelländer schlang den Zeigefinger um den Daumen des Besuchers, um den Eid zu besiegeln, wie es Brauch im Hügelland war. Auch die Frau gab nickend ihr Einverständnis. Der Wanderer trat zu ihr und flüsterte ihr zu: »Er wird zu Großem heranwachsen, wenn er von nun an besser behandelt wird als zu Beginn.« Zum Abschied legte er dem Kind eine Hand auf den Kopf.
Dann verließ er das Haus, ohne sich noch einmal nach den beiden Hügelländern umzublicken. Der sonnengegerbte Mann trat in die Morgensonne, und seine dunkle Haut hieß ihre Strahlen wie alte Freunde willkommen. Er lenkte seine Schrit te wieder auf die Landstraße zu.
Viele Wegstunden lagen vor ihm.
7
BAR’DYN
D er Bar’dyn trat unter der Dachschräge hervor. Er war gewaltig. Das Feuer beleuchtete die faserige Haut der Kreatur, die sich wie unabhängig von den Muskeln und Knochen darunter bewegte. Dicke Schwielen und Furchen prägten diese Haut und bildeten eine natürliche Rüstung, von der Tahn bisher nur in Geschichten gehört hatte – angeblich übertraf sie sogar die Kettenrüstungen von Kriegern. Der Bar’dyn löste den linken Arm von der Decke, die er an seine Brust drückte, und seine Hand sank beinahe bis zu den Knien herab. Aus einem Lederfutteral, das an sein Bein geschnallt war, zog er ein langes Messer. Die Bestie schloss die Hand um das Heft – drei klauen artige Finger, dazu ein Daumen auf beiden Seiten, und allein die Handfläche war so groß wie Tahns Gesicht. Sie zeigte mit der Klinge auf Tahn.
Tahns Knie begannen zu zittern. Abscheu und Angst rumorten in seiner Brust. Er stand in einem wahr gewordenen Albtraum.
»Wir gehen«, gurgelte der Bar’dyn tief und kehlig. Seine unbeholfene Sprechweise stand im Gegensatz zu der scharfen Intelligenz in seinem Blick. Wenn er sprach, bewegten sich nur seine Lippen. Die Gesichtshaut blieb schwielig und reglos. Lose lag sie über vorstehenden Wangenknochen, die weit unter den Augen hervortraten. Tahn erhaschte einen Blick auf einen Mund voll spitzer, fauliger Zähne.
Als seine Augen sich an das Licht im Haus gewöhnt hatten, sah er erneut zu Wendra auf ihrem Lager hinüber. Blut befleckte ihr weißes Nachtgewand, und ihr Körper schien in einer Art Starre zusammengekrümmt, die es ihr unmöglich machte, die Beine auszustrecken. Und da blieb Tahn fast das Herz stehen. Er begriff, was der Bar’dyn an seine borkenartige Brust drückte – in der Decke aus dicht gewobenem Rosshaar lag Wendras Kind.
Tahn spürte einen Druck in der Magengrube: Hass, Hilflosigkeit, Verwirrung, Angst. Ein Wahnsinn, der wie panische Flügel in seinem Verstand flatterte.
Weitere Kostenlose Bücher