Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
dir deine Entscheidungen gut. Bald ist es Zeit für deinen Einstand, und bis Decalam haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Halte dich stets dicht bei Mira.« Er sah Tahn mit diesem konzentrierten, durchdringenden Blick an. »Und lass niemals zu, dass deine Gefühle dich oder andere vom richtigen Weg abhalten. Nicht einmal Zuneigung zu denen, die dir am Herzen liegen. Solche Ablenkungen sind eine Schwäche, die unseren Untergang bedeuten kann.« Vendanji hielt inne, und ein Ausdruck trat in seine Augen, als schaute er weit in die Ferne. »So wie ein unterbrochenes Lied, dessen Weise sich verliert, bis dir die schreckliche Stille in den Ohren dröhnt … für immer.«
Der Sheson verstummte und wandte den Blick ab. Dann führte er Suensin ein paar Schritte weit und saß auf. Tahn wandte sich zornig ab und griff nach Joles Zügel. Er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie frustriert er war – aber Sutter durchschaute ihn mit Leichtigkeit.
»Was ist dir denn unter den Sattel gekrochen?«
Tahn warf ihm einen kühlen Blick zu und trieb Jole voran, in leichtem Galopp auf die Straße zu. Die anderen folgten ihm, und Mira hielt sich an seiner Seite. Er bedachte die Fern mit dem gleichen kalten Blick, doch ihre stoische Gelassenheit ließ seine Wut verrauchen. Er glaubte, wieder den Ansatz eines schmalen Lächelns auf ihrem Gesicht zu sehen, ehe sie voranritt, um die Straße zu erkunden.
11
VORBOTEN
D as Grasland hob und senkte sich in langgezogenen Wellen, und die Straße führte in einem weiten Bogen in nordöstliche Richtung weiter. Während der nächsten zwei Tage gönnte Vendanji ihnen nur ein paar Stunden Schlaf mitten in der Nacht, und bei jedem Halt ließ Mira sie antreten und mit ihren Waffen üben.
Bei Sonnenuntergang am zweiten Tag sahen sie weit in der Ferne die Lichter von Bollorg schimmern. »All meine Himmel, Tahn, sieh dir das an.« Sutters Miene leuchtete vor freudigem Staunen.
Vendanji ritt nach vorn und sprach kurz mit Mira. Sie nickte und führte sie wieder von der Straße herunter, mehrere hundert Schritt in ein Wäldchen hinein. »Ihr rastet hier«, erklärte der Sheson, als alle angehalten hatten. »Bis Mitternacht werde ich zurück sein. Dann reiten wir weiter. Braethen, du kommst mit mir.«
Vendanji und Braethen ritten in Richtung Bollorg davon, und Sutter bemerkte: »Vielleicht will ich auch ein Sodale werden.«
Mira stieg ab. »Die Bar’dyn sind ganz in der Nähe, also lasst zum Schlafen die Stiefel an und haltet eure Waffen griffbereit.«
»Ja, dieses hübsche kleine Schwert wird mir viel nützen, wenn die Bar’dyn in unser Lager spazieren, um sich ihr Abendessen zu holen«, entgegnete Sutter. Trotz des Sarkasmus klang seine Stimme müde.
»Sattelt die Pferde nicht ab, lockert nur die Gurte«, fuhr Mira fort. Sie tat genau das und legte ihren Umhang ab.
»Können wir Feuer machen?«, fragte Wendra.
»Nicht heute Nacht«, antwortete Mira. »Holt eure Waffen. Wir gehen die Übungen noch einmal durch.«
Im Zwielicht übten sie fast eine Stunde lang, wobei mal diesem, mal jenem vor Erschöpfung das Schwert aus der Hand fiel. Als es zu dunkel wurde, entließ Mira ihre Schüler und verschwand zwischen den Bäumen. Tahn folgte der Fern ein Stück an den Pferden vorbei und sah zu, wie sie an der flachen Stelle, die der Straße am nächsten war, trockenes Laub und kleine Zweige auslegte. Das machte sie bei jedem Halt, in ei nem Umkreis von fünfzig Schritt um das ganze Lager herum.
»Du könntest mir auch helfen, Weidmann, das ist wirklich keine schwierige Aufgabe«, bemerkte Mira.
Tahn beeilte sich, Zweige aufzuheben und so auszulegen, wie er es bei ihr gesehen hatte. Während sie zusammen arbeiteten, warf Tahn hin und wieder einen verstohlenen Blick auf die Fern. Si e war völlig anders als die Mädchen in Helligtal. Nicht nur, dass sie beinahe so groß war wie er, ihre Hüften waren auch nicht so breit wie die der meisten Frauen zu Hause. Und trotz ihrer aparten Schönheit machte sie mit Augen und Händen nicht diese koketten Gesten, wie man sie sonst typischerweise bei Melura-Mädchen sah. Als Mira ihren Umhang abgelegt hatte, hatte sie auch ihr Haar gelöst. Es war tiefschwarz, und die letzten Sonnenstrahlen enthüllten darin einen Hauch von Rot wie von verborgenem Feuer. Tahn spürte eine Regung in den Lenden.
»Du zeigst deine Begierden zu offen«, bemerkte Mira und legte die letzten Zweige aus. »Die wahre Kunst der Bewunderung heißt Unaufdringlichkeit.«
Auch Tahn war
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