Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
so.« Vendanji gab der Fern das Wasser zurück und ruhte sich einen Moment lang mit geschlossenen Augen aus. »Jemandem Macht über den Allwillen zu verleihen sollte einem Lenker nur möglich sein, wenn er aus tiefster innerer Gewissheit handelt. So war es von Beginn an gedacht. Die kunstvolle Zeremonie, durch die er diese Gabe jemandem überträgt, ist nur mündlich überliefert. Wenn man sie niederschreiben müsste, so meinte man, hätte der Betreffende versagt. Dadurch sei erwiesen, dass derjenige gar nicht erst zum Lenker hätte werden dürfen, also solle er zugrunde gehen.« Vendanji warf jedem in der Runde einen Blick zu. »Ich glaube nicht, dass es schon so weit gekommen ist, aber andere teilen diese Ansicht nicht.«
»Wer sind diese anderen?«, fragte Wendra, noch immer an ihr Pferd Ildico gelehnt.
»Sie sind zahlreich, Anais Wendra. Einige von ihnen haben uns erst heute Morgen um den Schlaf gebracht.« Vendanji stand auf – in der Mittagssonne warf er einen kurzen Schatten. Sein dunkler Umhang fiel von seinen Schultern und landete in vielen Falten auf dem Boden.
Braethen erhob sich ebenfalls.
Vendanji musterte A’Posians Sohn. Er starrte ihn auf die gleiche Weise an wie Tahn in der Feldstein-Taverne, als könne er den Mann lesen wie ein Buch. Ein unheimliches Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Mit den Wolken war auch der Wind abgezogen, und die hoch am Himmel stehende Sonne hatte zum ersten Mal genug Kraft, ein wenig Wärme zu spenden. Der Sheson tat einen Schritt auf Braethen zu und sprach: »Du stellst nur eine Gefahr für mich da, solange du mit Forda I’Forsa nicht so vertraut bist wie mit deinen eigenen Eltern. Und weshalb, Braethen, bist du kein Autor geworden? Warum spielst du im Haus deines Vaters Sodalität?«
Braethen schrumpfte bei dieser Schelte vor den Augen seiner Freunde zusammen und brachte kein Wort heraus.
»Du versagst schon wieder. Wie könntest du für mich von Wert sein, wenn du nicht einmal selbst sprichst, und zwar aufrichtig? Du musst eine bittere Enttäuschung für deinen Vater sein.« Vendanji stapfte davon.
Braethens Lippen teilten sich, doch die Worte kamen zu spät und verebbten in einem Flüstern.
»Ein reizender Kerl«, brummte Sutter.
Braethen schleppte sich zu der Lichtung, auf der sie trainiert hatten, und begann zu weinen. Tahn wollte ihm nachgehen, doch Mira hielt ihn zurück.
»Lass ihn. Diesmal ist es besser, wenn er sich selbst heilt.« Die Fern betrachtete Tahn nachdenklich.
Tahn schob sich an ihr vorbei und folgte stattdessen Vendanji hinüber zu den Pferden.
Er beobachtete den Sheson von hinten, während dieser ruhig von einem Pferd zum nächsten ging und jedem sanft einen kleinen Zweig aus der schmalen Schatulle zu fressen gab, die Tahn schon zuvor bei ihm gesehen hatte. »Bleibe stark, Solus«, sagte er, als er Miras Pferd fütterte. »Und du auch, Suensin.« Damit hielt er seinem eigenen Pferd einen kleinen Zweig hin. Er streichelte den muskulösen Hals des Tieres und fragte, ohne sich umzudrehen: »Was möchtest du wissen, Tahn?«
Tahn stammelte ein paar Silben, um Worte verlegen. »Warum gehst du davon aus, dass ich mit einer Frage zu dir komme?«
»Dann möchtest du dich also nur ein wenig mit mir unterhalten?«
Tahn trat vorsichtig näher und blieb ein Stück vor Suensins Sattel stehen. Er hatte nur eine einzige Frage. Nur eines wollte er von dem seltsamen Fremden erfahren, der mit so viel Wissen gerade rechtzeitig ins Helligtal gekommen war, um sie vor den Bar’dyn zu retten. Aber er musste diese Frage richtig formulieren.
»Du erlaubst Braethen, mit uns zu kommen, und dann machst du ihn nieder. Sutter machst du Komplimente über seinen Beruf, stellst aber seinen Charakter in Frage. Und mir sagst du, ich müsse mein Zuhause verlassen, um es zu retten. Das sind viele Widersprüche. Warum sollten wir dir nur einen einzigen weiteren Schritt folgen?« Dann kam er zu seiner eigentlichen Frage. »Sag mir, warum wir nach Decalam reisen. Hat es etwas damit zu tun, warum die Stilletreuen ins Helligtal eingedrungen sind … in mein Zuhause?«
Vendanji streichelte weiterhin sein Pferd. Schließlich hörte er auf. Hinter ihnen wies Mira die Übrigen an, wieder aufzusteigen. »Tahn«, entgegnete Vendanji gelassen, »du musst mir fürs Erste vertrauen. Ihr alle. Wir werden später noch Zeit haben, über diese Dinge zu sprechen. Aber im Augenblick stellt eure Unwissenheit noch einen Schutz für euch dar. Sieh vorerst einfach nur zu. Überlege
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