Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
ihm in der Kathedrale blieb, um zu lernen, und hatte sie davor gewarnt, sich dagegen zu entscheiden. Seit ihrer Ankunft hatten sie noch zwei Mal miteinander gesprochen, einmal am vergangenen Abend und dann erneut an diesem Morgen. Belamae hatte ihr die Wunder der Musik vorgeführt, angedeutet, welche Methoden und Techniken sie lernen konnte, um ihre Kunst zu vervollkommnen. Es verblüffte sie, welche Möglichkeiten es gab, Musik zu komponieren und zu organisieren, und sie hatte gespürt, dass die Dinge, die Belamae ihr mitgeteilt hatte, nur die waren, die er jedem Schüler beibrachte, den er betreute. Aber unter dieser Oberfläche, jenseits davon, würde – so schienen seine Augen zu sagen – ihre wahre Ausbildung überlegene Methoden beinhalten, von denen man im Kreise der anderen Schüler nichts erzählte. Aber Wendra beteuerte weiterhin, dass sie nicht in der Lage war, so schöpferisch tätig zu werden, wie Shanbe es beschrieben hatte. Jedes Mal, wenn sie es leugnete, verdüsterten Belamaes Augen sich vor Enttäuschung und Besorgnis.
Aber sie hatte keine Zeit dafür. Sie hatte ihre Gründe gehabt, zuzustimmen, Penit am Rennen teilnehmen zu lassen. Sie wollte die anderen finden, wenn sie es überhaupt geschafft hatten, und da die Straßen so voll waren, fühlte sie sich sicher vor verborgenen oder unerwarteten Gefahren.
Marktschreier priesen Speisen und Andenken an den Lesherlauf an, Straßenkünstler sangen Lieder, die, wie Wendra bald aufging, so fest zum Renntag gehören mussten wie die Nordsonngesänge – alte Volksweisen, die mittlerweile jeder kannte. Aufgeregtes Gemurmel war überall zu hören, und Passanten tauschten gespannt Spekulationen aus, aber die Geräusche waren, wie Wendra mit Erleichterung vermerkte, fröhlich und deuteten nicht auf die Art gefährlicher Meute hin, die sie vor kurzem in Galadell gehört hatte. Ganz wie das Nordsonnfest , dachte Wendra, da eine gewisse Brüderlichkeit aus allen Gesichtern, Worten und Liedern sprach.
Es wimmelte auf den Straßen von Kutschen und Wagen; Räder und Zaumzeug waren mit weiteren Girlanden durchflochten. Der süße Duft würziger Getränke stieg Wendra in die Nase, und hier und da erhielt ein Kind in Penits Alter Ratschläge von seinen Eltern oder anderen Erwachsenen, während sie alle auf die Hallen des Solath Mahnus zuströmten.
Jenseits des Krämerviertels summten die Straßen und Gassen vor Leben, und die Leute bewegten sich zielstrebiger, aber nicht mit weniger Begeisterung. Männer, die in feine Tuchwämser mit zwei Knopfreihen auf der Brust und glänzende Stiefel gekleidet waren, trugen hohe, schmale Gläser mit etwas, das nach einem Rumpunsch aussah, den Wendra selbst gern probiert hätte. Andere Männer gingen in auf Hochglanz polierten Rüstungen einher, ließen die eine Hand bequem im Takt ihrer Schritte mitschwingen und trugen eine Zeremonialwaffe in der anderen. Frauen hielten Blumensträuße in der Armbeuge, schlanke grünweiße Gräser, in die sich rote Blüten und gelbe Rosen mischten. Hier saßen die Kinder höflich da; ihre Schuhe waren weniger abgetragen, und ihre Hemden wiesen Längsstreifen in leuchtenden Farben auf, die oft zur Kleidung ihrer Eltern passten.
Mädchen und Jungen schienen gleichermaßen für das Rennen eingekleidet zu sein, aber sie waren immer schon fast zwölf Jahre alt und hatten längere Beine und verfügten sichtlich über eine bessere Körperbeherrschung als die jüngeren Läufer. Manche der hoffungsvollen Teilnehmer hatten schon den Wachstumsschub ihrer Jugendjahre begonnen und überragten die anderen – mehr als ein Junge hatte bereits erste Barthaare und einen kräftigen Brustkorb. Wendra konnte sich nicht vorstellen, wie die jüngeren Läufer mithalten sollten, aber das war auch gleichgültig. Sie wollte nicht, dass Penit gewann; sie war eigentlich sogar froh, Gegner zu sehen, die ihm so deutlich überlegen waren.
Sie suchten sich einen Weg durch die verstopften Straßen und behielten dabei immer die höchsten Turmspitzen und Kuppeln des Solath Mahnus auf seinem niedrigen Hügel im Auge, der die umgebende Stadt überragte. Als der Beginn des Rennens näher rückte, wurde es schwierig, voranzukommen, da der Verkehr sich auf den Durchgangsstraßen staute und man sich nur noch zu Fuß durchschlängeln konnte. Soldaten in den Farben von Decalam waren überall zu sehen. Ihre Umhänge und Helme erinnerten ständig an den Zweck des Lesherlaufs.
Der Ta’Opin drängte sich mühelos durch die Massen, setzte
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