Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
zeigte wild mit dem Finger auf den Ersten Rat. »Ihr habt vor, diesen Bogenschützen und seinen Freund dafür zum Tode zu verurteilen, dass sie in Euer Justizritual eingegriffen haben, und wollt auch den Ligaten hängen, den der Schütze gerettet hat, weil Ihr glaubt, dass dieser Ligat einen Sheson um Hilfe ersucht hat, um seine sterbende Tochter zu heilen. Ist das korrekt?«
»Die Zusammenfassung? Ja. Euer Benehmen? Nein«, sagte Pleades knapp.
Aus dem Publikum ertönte unterdrücktes Gelächter.
Der Beschwerdeführer trat in die Mitte des großen Runds und drehte sich langsam im Kreis, als würde er kurz einen Blick in jedes Augenpaar im Amphitheater werfen. »Unser Einspruch lautet wie folgt: Die Taten dieses Bogenschützen sind nicht strafbar, weil der Ligat unschuldig ist.«
Ein wisperndes Raunen durchlief das Publikum: Keuchen, Seufzen, Widerspruch, Spekulationen.
»In ihrer Hast, Schuldzuweisungen auszusprechen, haben die Räte das offensichtlichste Beweismittel übersehen, das ihnen zur Verfügung stand: eine Zeugin.« Der Beschwerdeführer schüttelte den Kopf und begann, langsam einen engen Kreis abzuschreiten, während er weiter zu der Versammlung von Bürgern sprach, als würde er sich gezielt weigern, die in Gerichtsroben gekleideten Menschen an den Wänden neben der Regentin zur Kenntnis zu nehmen. Dann hob er die Hände und schloss die Augen. Er murmelte etwas bei sich, und Wendra glaubte, ihm das Wort »Charta« von den Lippen ablesen zu können. Mit noch immer geschlossenen Augen fuhr er fort: »Fangen wir mit etwas Einfachem an. Ihr habt in der Stadt Decalam und im Land Vohnce ein Gesetz, das als das Zivilisierungsgesetz bekannt ist und besagt, dass jeder Sheson, der aus dem Willen schöpft, und jeder Bürger, der einen Sheson ersucht , den Willen zu lenken, eines Verbrechens schuldig ist. Dieses Verbrechen ist auf vielerlei Arten strafbar, unter anderem auch mit dem Tod.«
Köpfe nickten zustimmend.
»Wenn also«, legte der Beschwerdeführer dar, »der Ligat den Sheson gar nicht aufgefordert hat, den Willen zu lenken, und sich nicht mit ihm verschworen hat, dann ist er nicht schuldig und hat den Tod nicht verdient. Und wenn dieser Bogenschütze und sein Freund ihn davor bewahrt haben, aufgrund einer ungerechtfertigten Anklage bestraft zu werden, dann haben diese Melura, die Ihr verurteilt habt, nur getan, was jeder Mensch, der ein Gewissen hat, tun sollte.«
»Gegen Eure Logik ist nichts einzuwenden«, erklärte der Erste Rat in unverbindlichem Ton, »aber jemand hätte Euch unterrichten – und uns allen so viel Zeit sparen – sollen, dass der Angeklagte dieses Verbrechen gestanden hat. Er hat sich entschlossen, nicht einmal etwas zu seiner Verteidigung zu sagen.« Der Rat wandte sich zum Gehen und drehte dem Beschwerdeführer verächtlich den Rücken zu. »Ihr hättet bei Eurem eigenen Prozess vor vielen Jahren gut daran getan, Euch auch dafür zu entscheiden.«
Wendra zuckte vor dem düsteren Ausdruck zurück, der auf dem Gesicht des Beschwerdeführers erschien. In dem Moment fürchtete sie um das Leben des Ersten Rats. Mira rückte sogar auf ihrem Stuhl vor, als mache sie sich bereit, körperlich einzugreifen. Aber der Beschwerdeführer rührte sich nicht. Im ganzen Saal wurde es still. Penit ergriff Wendras Hand.
Der Beschwerdeführer starrte den Rücken des Ersten Rats ausdruckslos an und wandte sich dann ab, um die Mitglieder des Tribunals in ihren scharlachroten Roben anzusehen. »Lasst Euch eines gesagt sein«, begann er, und Wendra kämpfte gegen den Schauer an, der ihr über den Rücken lief. »Ihr macht drei Männer für Verbrechen verantwortlich, die sie nicht begangen haben. Ihr habt sie zum Tode verurteilt oder werdet sie sterben lassen, während Ihr über ihr Schicksal verhandelt. Ich bin bereit, für meine Verfehlungen einzustehen – seid Ihr es auch?«
Mehrere Augenblicke lang sprach niemand. Der Erste Rat nahm schließlich seinen Sitzplatz wieder ein und versuchte, so zu tun, als wäre er sehr damit beschäftigt, die Pergamente durchzusehen, die auf dem Tisch lagen. Seine Hände zitterten dabei. Am Ende drehte sich der Beschwerdeführer um und nickte Mira zu, die aufstand und zu einer weiteren Tür in der Nähe ihres eigenen Stuhls ging. Die Fern trat hindurch und kehrte sogleich mit einem jungen Mädchen zurück. Sie war in rußverschmierte Lumpen gekleidet und hatte sich das Haar mit einem ausgefransten Band zurückgebunden, damit ihr die verfilzten Strähnen nicht
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