Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
in die Augen fielen. Auf das Drängen der Fern hin trat sie zögernd vor. Der Beschwerdeführer ging auf sie zu, und Mira reichte die Hand des Mädchens an ihn weiter. Sanft führte der Beschwerdeführer sie in die Mitte des Kreises. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr. Das Mädchen duckte sich und starrte den Boden an. Während sie ihre Zeugenaussage machte, blieb der Beschwerdeführer hinter ihr stehen und ließ unterstützend die Hand auf ihrer Schulter ruhen.
»Mein Name ist Leia«, begann sie. »Mein Vater ist den Sheson nicht holen gegangen … Ich war das.«
Das Publikum brach in entsetzte Rufe aus. Für eine volle Minute gelang es der Regentin nicht, die Ordnung wiederherzustellen. Am Ende sorgte das Pochen ihres Gehstocks auf dem Marmorboden für Ruhe im Gerichtssaal. »Sprich weiter, Kind«, sagte die Regentin.
»Ich kenne Rolen«, fuhr Leia fort, »weil ich ihm dabei helfe, Essen an die Armen im Bettlerviertel zu verteilen. Das tue ich schon seit Monaten, weil es mir hilft, für das dankbar zu sein, was meine Familie hat. Und Rolen gibt mir zum Dank für meine Hilfe immer einen Brotlaib. Als meine kleine Schwester Illia dann krank wurde und Mutter ihr nicht helfen konnte und wir kein Geld für einen Heiler hatten …«
»Fahr fort«, forderte sie der Beschwerdeführer auf.
»Da dachte ich an Rolen, weil ich wusste, dass Sheson den Willen gebrauchen können, um Leute zu heilen. Ich wusste, dass Mutter und Vater wegen des Gesetzes nie zu Rolen gegangen wären. Oder zumindest dachte ich, dass sie es nicht tun würden. Aber ich konnte doch Illia nicht einfach sterben lassen! Und Rolen ist immer so gut zu mir …«
Bevor das Mädchen oder der Beschwerdeführer noch mehr sagen konnte, stand ein anderer der Räte vom zweiten Tisch auf. Dieser trug das Emblem der Liga unterhalb seiner Schulterstücke. Er legte unter dem Kinn die Fingerspitzen aneinander und bedachte das Mädchen mit einem väterlichen Lächeln. »Sollen wir den ehrenwerten Beschluss dieses Gerichts auf die Worte eines Kindes hin umstoßen? Es ist bemerkenswert, dass sie lügt, um ihren Vater zu retten, aber kaum zulässig …«
»Und warum nicht zulässig?«, fragte der Beschwerdeführer fordernd. »Warum seid Ihr so erpicht darauf, ein Mitglied Eurer eigenen Bruderschaft hinzurichten, wenn ich hier bin, um Euch zu sagen, dass der Mann unschuldig ist? Dass er getan hat, was jeder Vater tun würde, und die Verantwortung für eine Sünde auf sich genommen hat, um sein Kind zu retten?«
Der Rat der Liga kochte einen Moment lang vor Zorn, bevor ihm eine Antwort einfiel. »Lasst mich das mit einer Frage beantworten. Warum seid Ihr so erpicht darauf, anstelle der väterlichen Tapferkeit, von der Ihr sprecht, das Mädchen hier mit seinem Leben für dieses Verbrechen büßen zu lassen?«
Angesichts dieser Umkehrung der Logik ging ein Raunen durchs Publikum, und Wendra ertappte sich dabei zuzustimmen. Dieser Beschwerdeführer, der neben Vendanji gesessen hatte, schien dafür einzutreten, dass dieses junge, vielleicht zwölfjährige Mädchen eine Gesetzesbrecherin war, die gehängt werden sollte. Sie sah zu Penit hinunter, und ihr wurde wieder einmal bewusst, wie trügerisch Sicherheit war.
Der Mann mit der tief gebräunten Haut, der hinter Leia stand, legte ihr die andere Hand auf die freie Schulter. Er stand so da, wie ein Vater es vielleicht getan hätte, um das, was das Mädchen gleich sagen würde, voll und ganz zu unterstützen. »Ihr habt noch nicht alles gehört«, verkündete er und wartete geduldig ab, bis Leia fortfuhr.
Das Mädchen zitterte. Sie konnte nur den Boden ansehen, da sie große Angst vor dem hatte, was als Nächstes kommen musste. Mit vor Gefühlsbewegung fast brechender Stimme sagte sie: »Mutter hat uns oft gepflegt, wenn wir krank waren. Sie ist keine Heilerin oder Sodalin, aber sie kennt sich mit Krankheiten aus. Sie hat uns gefragt, ob einer unserer Freunde krank war oder ob irgendeiner der Bettler nicht gesund ausgesehen hätte, als ich dort war, um Rolen zu helfen, Brot zu verteilen. Sie sagt, dass man krank werden kann, wenn man in ihrer Nähe ist. Aber Illia und ich sagten ihr, dass es nicht so war. Erst als sie Rolen abführten, fiel mir dann wieder ein, dass Mutter uns auch gesagt hatte, dass wir Bauchschmerzen bekommen könnten, wenn wir zu viele Süßigkeiten und Früchte essen würden … das, und die Geschenke, die Illia und ich an dem Morgen bekommen hatten.«
Nun drehte sich der Beschwerdeführer zu dem
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