Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
Hoffnung auf diese Antworten gewesen, an die Tahn sich geklammert hatte. Tiefe Niedergeschlagenheit machte sich in seinem Herzen breit.
»Ich weiß«, sagte Rolen in mildem Ton. Er drückte Tahns Schulter, um seine Aufmerksamkeit zu erzwingen. »Aber der Wandel ist nicht weniger wichtig, als deine Erwartungen dich haben glauben lassen, Tahn. Ich habe dir mich selbst zum Ge schenk gemacht, auf eine Art, wie es dein Vater sicher tun wollte. Das ist Feuer für deine Seele, wenn du dich dafür entscheidest.«
Tahn starrte ihn ausdruckslos an.
Rolen erwiderte seinen Blick verständnisvoll. »Es ist nichts, was du jetzt spürst, ich weiß. Aber vertrau mir, was das betrifft.« Er ließ mit schmerzverzerrtem Gesicht einen Arm sinken.
Tahn erinnerte sich an die Wärme, die ihn einen Augenblick lang durchströmt hatte, als Rolen seine Worte vorgetragen hatte, und fragte sich, ob das die Gabe war, von der der Sheson sprach. Neben all den Jahren der Vorfreude hatte Tahn auf eine große, neue Fähigkeit oder Erkenntnis gehofft. Stattdessen fühlte er nur eine neue Last auf sich ruhen.
Rolen schien ihm die Gedanken am Gesichtsausdruck abzulesen. »Verzweifle nicht, mein Freund. Blicke in dich selbst hinein und sieh, ob du nicht schon über innere Ruhe verfügst. Der Wandel ist weder eine sichere Offenbarung noch die Übertragung unermesslicher Weisheit und Stärke. Er ist die Freiheit, in deinen Ketten zu stehen oder zu sitzen, Tahn, den Biss des Stahls im Fleisch zu ertragen, deinen Hunger zu unterdrücken und den drohenden Tod nicht zu spüren.«
Der gleiche ruhige Ausdruck, den Tahn gesehen hatte, als Rolen zum ersten Mal in den Lichtkegel getreten war, erfüllte die verhärmten Züge des Sheson, aber Tahn verstand immer noch nicht, was er meinte. Dennoch fühlte er sich gewandelt. Als er Rolen musterte, dessen Gesicht halb in fahles Licht getaucht, halb von den Schatten verhüllt war, sah Tahn edel erduldetes Leid. Er sah auch das Gesicht des Alters. Tahn fragte sich, ob er jemals wieder im Herbst durch die Haine von Helligtal streifen und dem abgefallenen Laub nur deshalb einen Tritt versetzen würde, weil der Wind es auf dem Waldboden zu Haufen zusammenwehte.
Welche Folgen hat diese Entscheidung nach sich gezogen, einfach herumzulaufen und die Blätter zu treten?
Er kam sich vor, als sei er mitten in Rolens Land der umgekehrten Dunkelheit und des auf den Kopf gestellten Lichts.
Rolen verschwand wieder im Dunkel seiner Ecke und schleppte seine Ketten hinter sich her. Tahn hatte nicht den Wunsch, sich hinzusetzen oder sich überhaupt zu bewegen. Er wusste nicht, wie lange er dastand, nachdachte und doch versuchte, nicht zu denken. Am Ende drehte er sich um, richtete den Blick nach oben in das Gewölbe des düsteren Kerkers und malte sich aus, wie das Hohe Licht sich langsam an einem aschgrauen Himmel ausbreitete, verhüllt von Wolken, die baldigen Regen verhießen. Das Bild hielt lange genug vor, um es Tahn zu erlauben, den nötigen Mut zu schöpfen, sich wieder auf den gleichgültigen Stein zu setzen. Sobald er dort war, rollte er sich zusammen und raffte seine Ketten zu einem Knäuel, auf das er den Kopf betten konnte. Das Gesicht zur Wand gedreht und sorgsam vom matten Licht des hochgelegenen Fensters abgeschirmt, jagte er alten Erinnerungen bis in den Schlaf nach. Das Letzte, was ihm in den Sinn kam, war, wie Sutter an den Kleidern der Mädchen gezupft hatte, wenn sie zu nah an Hambleys Hintertreppe herangekommen waren, unter der er und Tahn im Verborgenen gesessen hatten. Tahn hoffte, dass es Sutter gut ging.
Der Tag von Sutters Wandel brach an.
Er wusste es, weil er jetzt schon seit vielen Zyklen die Tage zählte. Früher hatte er sich immer vorgestellt, dass er an diesem Tag von seinem Rübenbauernhof aufbrechen und mehr aus seinem Leben machen würde. Aber jener Tag war ein wenig eher gekommen, und der Weg, den er an ihm eingeschlagen hatte, hatte ihn hierhergeführt.
Es war noch tief in den dunklen Stunden der Nacht. Wie in der Erwartung, wieder die Augen der Toten zu sehen, war er erwacht.
Doch stattdessen hatten ihn nur die Stille und die Dunkelheit begrüßt.
Die anderen hier schliefen noch.
Sutter stemmte sich vom rauen Stein hoch und setzte sich auf. Seine Knochen und Muskeln schmerzten bei jeder Bewegung. Er blickte die Wand gegenüber von sich an: Die beiden Spielleute waren nicht zurückgekehrt. Er hatte ihre Gestalten heute Nacht noch nicht gesehen. Sutter versuchte, gar nicht erst daran zu
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