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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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wartete darauf, dass sie entweder sein Essen abstellen oder ihn wieder verprügeln würden.
    Ein greller Lichtschein erhellte plötzlich die Zelle. Tahn kniff die Augen gegen das einfallende Licht zusammen, obwohl er der Tür den Rücken zugewandt hatte. Stimmengemurmel durchbrach die Einsamkeit so ungestüm wie das Licht auf der Steintreppe, und weiche Schuhe trugen ihre Besitzer herab in Tahns und Rolens Welt. Die Wachen schritten auf harten Sohlen einher, so dass Tahn sich fragte, was für Besucher dies wohl sein mochten. Er hob den Kopf, aber die Anstrengung ließ einen stechenden Schmerz durch seinen Hals fahren. Das helle Licht blendete ihn, und seine Augen begannen zu tränen. Aus dem Augenwinkel konnte er mehrere Leute die Stufen herabsteigen sehen, dunkle Schattenrisse wie die Gestalten in seinen Träumen.
    »Da«, hörte er jemanden sagen.
    Eine ganze Anzahl von Füßen huschte geschmeidig die Stufen hinunter. Langsam gewöhnten sich Tahns Augen an das Licht. Er blinzelte die Tränen fort und versuchte, sich zu konzentrieren. Gesichter wurden klar erkennbar und verschwammen wieder, kamen ihm vertraut vor, nur um sich dann wieder zu verlieren.
    Eine der Gestalten begann auf ihn zuzugehen, aber ein Mann neben ihr umfasste ihren Arm. »Geduld, Anais. Es wird später noch genug Zeit für ein Wiedersehen und Heilung sein. Erst gilt es, einen Disput beizulegen.«
    Tahn kannte diese Stimme, aber es lag weiterhin ein Dunstschleier über seinem Verstand. Er rang darum, sich aufzusetzen, aber es gelang ihm nur, sich auf den Rücken zu wälzen. Er keuchte vor Anstrengung. Da er ausgestreckt auf dem Stein lag, musste er zumindest nicht mehr den Kopf hochhalten. Er kniff die Augen zusammen, da das Licht ihm nun geradewegs hineinschien, und spähte in Richtung der Versammlung, während in ihm Zorn darüber aufkeimte, dass alle einfach dastanden und ihn angafften, während er am ersten Tag seiner Alchera zerschlagen und außer Atem dalag.
    »Was starrt ihr mich an?«, sagte er, unfähig, so vorwurfsvoll zu klingen, wie er es vorgehabt hatte. Er stieß die Worte ungleichmäßig zwischen röchelnden Atemzügen hervor.
    Niemand antwortete. Tahn fühlte sich plötzlich wie in einem Traum: vage bekannte Gesichter und Stimmen, weiche Schuhe, spärliches, aber durchdringendes Licht. Vielleicht war alles nur ein Traum gewesen: Rolen als Beisteher bei seinem Einstand; das Zittern der Wachen beim Befehl des Sheson; die höhnischen Worte, die Schläge. Vielleicht würde er aufwachen und erkennen, dass er in seinem Bett in Helligtal schlief, und Wendra würde schon Äpfel und Sahne für das Frühstück in der Pfanne haben, wenn er die Augen aufschlug.
    Dann löste sich in seinem Traum eine der am Fuß der Treppe versammelten Gestalten von den anderen, kam auf ihn zu und blieb nicht an der mit Kreide auf den Stein gezeichneten Linie stehen, die die Reichweite eines Gefangenen bezeichnete. Der Mann schritt darüber hinweg, richtete den Blick unverwandt auf Tahn und ließ sich neben ihm auf ein Knie nieder. Sein Kopf verdeckte das Licht, das durch die Tür fiel, und verschwamm zu einem unförmigen Schattenriss, in dem Tahn kein Gesicht erkennen konnte. Er blinzelte in dem Versuch, klarer zu sehen, und erkannte doch immer noch nichts. Der Mann ergriff Tahns Hand, hob sie ins Licht und schien die Narbe darauf zu betrachten. Sanft legte der Fremde sie dann wieder auf den Boden und wandte sich den Übrigen zu.
    »Das müsst Ihr selbst sehen«, sagte er. Und wieder dachte Tahn, dass er die Stimme kannte, obwohl sie heiserer klang, als er sie in Erinnerung hatte, als ob zu viel Wind und Hitze hindurchgegangen wären.
    Eine zweite Gestalt trat ins Licht. Tahn fand, dass sie alt, aber nicht gebrechlich wirkte. Sie ging auf einen Stock gestützt, der im Takt ihrer langsamen Schritte auf Tahns hartes Bett klopfte.
    »Sorgt dafür, dass er sich benimmt«, sagte die Frau.
    »Er ist nicht in der Verfassung, Euch zu bedrohen«, erwiderte der Mann bei Tahn. Er stand auf und trat beiseite, um ihr Platz zu machen. »Helaina, dieser Bogenschütze, den Ihr habt in Ketten legen lassen, ist der Junge Tahn.«
    Die Frau klopfte sich näher heran und beugte sich über ihn. Ein Ausdruck des Verstehens keimte in ihren Augen auf. Sie ließ den Gehstock fallen, sank auf die Knie und umfasste Tahns Gesicht mit faltigen Händen. Tränen quollen über ihre unteren Augenlider und tropften Tahn geradewegs aufs Kinn. Binnen eines einzigen Augenblicks wurde Tahn Zeuge

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