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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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von Freude, Erleichterung, Besorgnis und Beschämung. Die alte Frau schmiegte das Gesicht an Tahns Hals und weinte mit stummen Schluchzern. Heiße Tränen flossen ihm über die Haut in den Kragen. Er war verwirrt, aber dankbar über die Wärme der Tränen und der Umarmung der Frau.
    Die Frau wiederholte immer wieder irgendetwas, aber Tahn konnte sie nicht verstehen, weil ihre Wange ihm das Ohr zuhielt. Als die Tränen versiegten, zog sie sich zurück und sah ihn mit vor Alter bereits glasigen Augen an. Ein Ausdruck von Trauer lag in ihren Zügen, als sie ihre Stirn an die von Tahn lehnte und flüsterte: »Beim guten Allwillen!«
    Die Frau ließ Tahns Gesicht los, wischte sich Augen und Wangen ab und streckte eine Hand aus, damit man ihr aufhalf. Der erste Mann kam ihr zu Hilfe.
    »Lasst ihn frei«, sagte sie, woraufhin ein Wachsoldat herbeieilte und sich über Tahns Handschellen hermachte. Das Ruckeln der Ketten brannte ihm auf der wunden Haut, aber er hatte nicht die Kraft, sich zu beklagen. »Bringt ihn auf der Stelle zu den Erhabenen Heilern. Wir werden gleich zu euch stoßen. Lasst ihn nicht allein, bevor ich bei euch bin.« Sie drehte sich auf dem Absatz um. »Schreiber.« Der Mann mit dem Register eilte an ihre Seite. »Schreibt nieder, dass Decalam dem Zeitalter der Charta Ehre erweist. Die Berufung auf den Bewahrten Willen ist in dieser Angelegenheit rechtens und wiegt schwerer als das Urteil des Hohen Rats. Die Gefangenen sind frei.« Sie klopfte auf sein Buch. »Sorgt dafür, dass das Höchste Gericht darüber in Kenntnis gesetzt wird. Ich komme später zu Euch, um mich zu vergewissern, dass das geschehen ist. Geht.«
    Tahn sah zu, wie die Leute sich beeilten, den Befehlen dieser seltsamen Frau nachzukommen, die noch vor einem Augenblick an seinem Hals geweint hatte. Sie wies auf einen zweiten Wärter – es war der Mann, der damals Tahns Wasserration auf den Steinboden gegossen hatte. Der Soldat ging rasch zu ihr hinüber und beugte das Knie. »Du wirst den anderen freilassen. Benötigt auch er die Aufmerksamkeit eines Heilers?«
    »Ich bedaure, sagen zu müssen, dass dem so ist, Herrin.«
    »Dann bring ihn ebenfalls zum Heiler«, sagte sie in anklagendem Ton. »Und sorge dafür, dass es nicht zu einem Vorfall kommt, der einem dieser Jungen auch nur einen Hauch von Schaden zufügen könnte.«
    Der erste Soldat wurde damit fertig, Tahn die Ketten abzunehmen, und hob ihn so mühelos hoch, wie ein Vater es mit einem Kind hätte tun können. Tahns Muskeln protestierten schmerzhaft gegen das plötzliche Holpern, aber er verbiss sich einen Aufschrei. Der Soldat machte Anstalten, ihn wegzutragen. Plötzlich durchzuckte ihn ein greller Blitz von Klarheit und Tatendrang.
    »Wartet«, sagte Tahn. Der Wärter ging weiter. »Wartet!« Nun schrie Tahn, so dass die ganze Zelle von seinem wilden Protest widerhallte. Jetzt blieb der Wärter stehen und warf der Frau einen fragenden Blick zu, als würde er auf Anweisungen warten.
    Tahn ignorierte sie beide und wandte sich den Schatten zu, in die gehüllt Rolen vergessen dasaß.
    »Ihr müsst auch ihn freilassen«, sagte Tahn. Er biss die Zähne zusammen, um die Schmerzen zu unterdrücken, die in jedem Schnitt und jeder wunden Stelle pochten. »Wenn ich unschuldig bin, wenn der Mann, den ich gerettet habe …«
    »Tahn.« Das war Rolen. Seine Stimme ertönte wie die Ruhe selbst aus dem umschatteten Winkel und unterbrach Tahns Fürsprache. Einen Augenblick später trat der Sheson langsam ins Licht. »Mach dir keine Sorgen um mich. Vergiss nicht, ich habe mich freiwillig dazu entschieden.«
    »Aber Rolen«, wandte Tahn ein. »Sie sehen doch, dass es eine Falle war. Sie lassen mich frei, weil der Mann, den ich gerettet habe, unschuldig war. Du solltest nicht …«
    »Tahn.« Wieder diese Stimme voll heiterer Ruhe und Überzeugung. »Ob es nun eine Falle war oder nicht, ich habe gegen das Gesetz verstoßen. Ich wusste, was ich tat, und das, was ich heute hier gesehen habe, verleiht mir neue Kraft, meine Haft zu ertragen.«
    »Was meinst du damit?«, fragte Tahn. »Es ist nicht gerecht. Es ist nicht richtig.« Er rang darum, sich aus den Armen des Wärters zu befreien, aber in seinem Körper steckte nicht mehr viel Kampfgeist.
    »Ich nehme keine Begnadigung von der Regentin an, wenn diese Begnadigung ihr Tadel eintragen würde.« Rolen wandte sich der Frau zu.
    Erkenntnis breitete sich in Tahn aus, und er hörte auf, sich zu wehren.
    Im selben Augenblick sah er zum ersten Mal

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