Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
hatte sich verändert. Nun wirkte es mehr wie eine Maske als wie das wild entschlossene Behüten, das sie ihm gegenüber zuvor an den Tag gelegt hatte. Tahn schüttelte den Eindruck ab; er hatte selbst einige Fährnisse durchgemacht. Alles, was er sah, musste notwendigerweise irgendwie anders wirken. Vielleicht hatte der Wandel seinen Blickwinkel verändert.
Mira trat ins Zimmer. Die Fern kam an Tahns Seite und ließ ihn mit einem Blick zu Eis erstarren. »Es verlangt viel Mut, einen Mann vor dem Galgen zu retten, selbst wenn es ein Ligat ist.« Und sie schenkte ihm ihr kleines Lächeln. »Ein Tag in Eisen ist hundert in der Schlacht wert. Ein Mann, der schon einmal gefangen war, kämpft danach umso entschlossener. Vergiss diese Tage nicht.«
Ihr Anblick richtete für seine Seele so viel aus wie die heilenden Hände der Erhabenen für seinen Körper.
»Ich bin froh, dass es dir gut geht.« Und nun erwiderte sie endlich den stürmischen Kuss, den er ihr vor einigen Tagen gegeben hatte, und drückte ihm kurz die weichen Lippen auf die Wange.
Er hatte kaum Zeit, darüber nachzudenken, wie langsam der Kuss ihm im Vergleich zur zielstrebigen Schnelligkeit der meisten Dinge in ihrem Leben erschien, da Braethen hereinkam. Er trug Tahns Waffen, sein Gepäck und seinen Umhang. Beim Anblick all dessen setzte Tahn sich auf. »Bring alles her«, befahl er.
»Sachte, Tahn«, sagte Braethen. »Du solltest dich ausruhen. Deinen Habseligkeiten ist nichts geschehen.«
»Sofort. Bring sie sofort her!«, beharrte Tahn.
»Schon gut«, sagte Braethen. »Freut mich übrigens auch, dich zu sehen.«
Tahn schüttelte den Kopf. »Es ist wichtig.«
Während Tahn Braethen den Umhang aus der Hand riss, kamen hinter ihnen vier Wachsoldaten in den Raum. Zwei bezogen an der Wand links von der Tür Stellung, die anderen beiden rechts davon. Dann erschien die Frau, die sie als Regentin bezeichnet hatten. Sie ging vorsichtig und setzte ihren Gehstock in stetigem Takt auf. Hinter ihr schritt der Mann, der sich in der Zelle als Erster neben Tahn gekniet hatte. Alle im Zimmer verneigten sich, nur der Mann hinter der Regentin nicht, dessen wettergegerbtes Gesicht kaum Gefühle verriet.
Der Letzte, der eintrat, war ein alter Mann, der am Hals das gleiche Symbol wie Vendanji trug. Ein schneeweißer Bart fiel ihm über die Brust, und das wellige weiße Haar reichte ihm bis auf die Schultern. Eine Brille zierte seine Knollennase, und der Mann bewegte sich ebenso zielstrebig wie die Regentin mit vorsichtigen Schritten. Sobald er eingetreten war, schloss er die Tür und nickte Vendanji zu, bevor er seine Aufmerksamkeit auf die Regentin richtete.
»Zweifellos«, begann die alte Frau, »hat dies alles viel mit den Gerüchten zu tun, die in den Ratssälen des Solath Mahnus herumspuken.« Sie sprach in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Ihr wisst, was ich davon halte, Sheson. Ich habe das Große Mandat einberufen. Lästerzungen werfen mir politische Winkelzüge vor, aber ich bin zu alt, um mir Sorgen um mein Vermächtnis zu machen. Ich habe die Vögel und Herolde ausgeschickt, weil es Berichte über Bar’dyn im Süden gibt und weil tagtäglich am Stadttor eine Flut von Menschen erscheint, die ihr Heim verlassen haben, um Schutz hinter den Mauern von Decalam zu suchen. Ich vermute, dass es in den Städten überall in den Südlanden ähnlich aussieht. Allerdings kann ich die Opportunisten nicht ausstehen« – sie blickte finster drein –, »Männer und Frauen, die sich mit Wappen schmücken, während andere sich ein Emblem zulegen, und das alles nur, um sich um Offiziersposten zu zanken oder einen Sitz in einem Rat zu ergattern, der seit dem Zweiten Eid tot ist, seit hundert Generationen oder mehr – und nun stolzieren sie in allem Pomp und Gehabe einher! Es ist eine Schande und zugleich auch der einzige Grund dafür, dass ich froh bin, dass so viele der Eidessitze leer bleiben. Aber das spielt keine Rolle«, schloss sie. »Nun, was lockt Grant aus seinem Mal hervor?«
Grant sagte nichts; er sah einfach den Rücken der Regentin an.
Als Vendanji antwortete, sah er zu Tahn hinüber. »Dieselbe Notlage, die Euch zwingt, das Große Mandat und zugleich Euren Hohen Rat vollzählig wieder einzuberufen, Herrin: die Bedrohung durch die Stille. Er begleitet uns zum Fels der Erneuerung, um das Schicksal eines Einzigen an den Absichten des Allwillens zu erproben.«
»Ihr meint nicht, dass Grant vorhat, sich der Erneuerung zu stellen.« In der Stimme
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