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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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wie der Schreiber sie beide jeweils einen Bericht über das, was geschehen war, hatte abfassen lassen und wie er sie aufgefordert hatte, die Pergamente in diesen Stäben nach Decalam zu tragen.
    Vendanji brach die Siegel auf und zog die Berichte heraus. Er las erst Sutters, dann Tahns. Als Nächstes entrollte er Edholms Pergament und überflog es. Während sein Blick über die Zeilen huschte, trat stiller, ruhiger Zorn auf seine Züge. Als er fertig war, senkte er die Schriftrolle, und seine Wut strahlte in spürbaren Wellen von ihm ab. Am Ende hielt er den vierten, größeren Stab hoch, öffnete ihn aber nicht.
    »Die Bibliothek ist verbrannt. Nichts ist übrig geblieben.« Vendanji schob die Rollen in ihre jeweiligen Stäbe zurück. »Es gibt jetzt keine Kopie der Verse der Verlassenen mehr. Eine Übersetzung wäre ohne die Generationen von Forschung und Gelehrsamkeit, die sich damit befasst haben, ohnehin unmöglich. Was wir selbst über die Sprache des Bundes zu erfahren hoffen konnten, ist verloren.« Vendanji wandte sich an die Regentin. »Benachrichtigt die Discantus-Kathedrale. Dort hat man nun nicht mehr den Schutz des doppelten Vorhandenseins. Wenn den Versen etwas zustößt, können wir nur noch aus der Erinnerung ihrer Sänger schöpfen.«
    Tahns Gedanken überschlugen sich. Ein Dutzend Geschichten, die man zu Nordsonn erzählte, brachen auf einmal über ihn herein, Dinge, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte, Legenden, die er sich in den späten Abendstunden selbst vorgelesen hatte. Alle schwiegen angesichts dieser Enthüllung. Tahn nahm in Miras Gesicht eine Art heiterer Ruhe wahr, die entweder den Tod willkommen hieß oder sich keine Sorgen um den Verlust in Kumram machte. Er war wie gebannt von der Standhaftigkeit der Fern – nun, da er den Wandel hinter sich hatte, vielleicht mehr denn je – und von ihren sanften, leuchtenden Augen.
    Vendanji fuhr fort: »Regentin, schickt die hundert Mann, die ihr sonst nach Kumram gesandt hättet, stattdessen aus, um die Kathedrale zu bewachen. Hüllt sie in gewöhnliche Kleidung. Rüstungen und Uniformen würden nur Spekulationen herausfordern. Aber geht nicht das Risiko ein, die Kathedrale ungeschützt zu lassen. Die Verse der Verlassenen sind zwar für dieses Zeitalter der Menschheit nur ein Märchen, aber sie nehmen ei ne Schlüsselrolle ein, und wir können es uns nicht leisten, sie zu verlieren. Ohne sie wären wir dem Untergang geweiht.«
    Penit stieß Wendra an, die ihn so eng an sich gezogen hatte, dass er, als sie ihn losließ, nach Luft schnappte. Sie lächelte entschuldigend, und er ergriff freundlich ihre Hand. Hinter ihrer ernsten Miene schien auch sie Geheimnisse zu haben. Tahn verabscheute diesen Anblick. Wendra hatte sonst immer gelächelt, ganz gleich, ob sie die Scheune ausgemistet oder die Kochtöpfe gespült hatte.
    Die Regentin räusperte sich leise. »Das wird eine Abstimmung im Hohen Rat erfordern, aber es soll geschehen. Wir werden unseren neuen Kindermund auf die Probe stellen.« Die Regentin sah zu Penit hinab. »Ihr solltet wissen, dass der Junge höchste Ehre und Weisheit unter Beweis gestellt hat, Sheson. Er hat sich geweigert, das Band beim Lesherlauf herunterzureißen, damit ein anderer, der besser geeignet war, den Platz an meinem Tisch einnehmen konnte. Sein persönliches Opfer für das Gemeinwohl macht mir Mut. Dafür hätte ich ihm beinahe den Sitz verliehen. Aber nun scheint es so, als ob er andere Aufgaben zu erfüllen hätte.«
    Vendanji bedachte Penit mit einem wissenden Blick, beäugte kurz Tahn und wandte sich dann wieder dem Jungen zu. »Das hat er in der Tat.«
    Es gefiel Tahn nicht, wie Vendanji das sagte. Es lag an dem unheilverkündenden, mehrdeutigen Unterton des Sheson, und der Ausdruck in Vendanjis Augen glich nichts so sehr wie dem eines Bauern, der im Frühling seinen Viehbestand mustert. Er erinnerte Tahn an die Gleichgültigkeit, die er schon früher bei dem Sheson erlebt hatte. Das durfte er nicht vergessen. Und als er zu Sutter hinübersah, erkannte Tahn, dass auch sein Freund offensichtlich um den Jungen besorgt war. Sutter hatte in den Worten des Sheson ebenfalls eine unterschwellige Bedeutung wahrgenommen.
    »Was ist zu tun?«, mischte sich Grant ein. »Die Jungen werden bis zum Einbruch der Dunkelheit schlafen. Ich habe nicht vor, auch nur einen unnötigen Augenblick inmitten der marmornen Arroganz des Solath Mahnus zu verbringen.«
    Die Regentin versteifte sich. Sie drehte sich langsam zu dem

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