Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
musterte über die polierte Tischplatte hinweg Helainas erschöpftes Gesicht und verspürte ein gewisses Mitgefühl, aber zugleich Empörung. Er erinnerte sich an eine Namensliste und das Grab eines Säuglings, und das Feuer entflammte sein Herz erneut. Mit ruhigen Fingern öffnete er seinen Beutel und warf einen Schlangenkopf und ein Stück Kinderdecke auf den Tisch vor ihr.
Die Regentin zuckte zurück, nicht vor Angst, sondern vor Überraschung, musterte dann aber die beiden Gegenstände. Artixan trat nahe heran.
»Die Schmach, die Ihr Denolan bereitet habt, mag nicht unverdient gewesen sein, aber dieses Urteil war es. Mit der Wiege am Rande des Mals ist es vorbei.«
»Ihr verfügt nicht über die nötige Machtvollkommenheit …«
»Ich nehme sie mir!«, rief Vendanji. »Ich empfinde Euch gegenüber keinen Hass, Helaina. Aber bei der Macht des Willens, die mir verliehen ist – ich werde sogar Euch niederstrecken, wenn Ihr diese verabscheuungswürdige Kette, die Denolan dort angebunden hält, nicht endlich löst!«
»Ihr vergesst Euch!« Die Regentin erhob sich.
Artixan stellte sich rechts neben sie. »Vendanji, deine Leidenschaft macht dich unklug.«
»Nein«, sagte er. »Ich sehe klarer als Ihr beiden, weil ich an die Orte gelange, an denen große Not herrscht und die Schreie der Leidenden unbeantwortet bleiben und in Vergessenheit geraten.« Er hob das Stück Decke auf, und es zerriss ihm das Herz, es auch nur zu berühren. Das Unterpfand verlieh dem, was er als Nächstes sagte, stille Erhabenheit. »Es ist keine drei Tage her, dass ich mit Eurem Verbannten zu Eurer Wiege im Mal gelangt bin und dort einen toten Säugling vorgefunden habe – gebissen von einer Viper, die aus dem Born hierhergebracht worden ist. Als Zeichen. Als Botschaft.«
Die Regentin und ihr Shesonberater betrachteten den Schlangenkopf. Aus ihren Blicken sprach langsames Begreifen.
»Die Stille weiß, wie Ihr Euren früheren Meritus fesselt, Helaina, und hat ihm nachgestellt, indem sie einem Menschen das Leben geraubt hat, der noch zu klein war, um auch nur zu wissen, dass er der Verteidigung bedurfte.« Vendanji starrte beide an. »Es hat ein Ende damit. Sofort.«
Sie erwiderten seinen Blick und begannen, wie er annahm, eine gewisse Trauer angesichts des Verlusts zu empfinden. Sie sagten nichts – wie er hoffte, weil ihnen das schreckliche Bild dessen, was geschehen war, die Kehlen zuschnürte.
»Grant wird im Mal bleiben, wenn Ihr es von ihm verlangt und wenn es das ist, was Ihr als angemessene Strafe für seinen Verrat betrachtet. Aber er geht mit mir zum Fels der Erneuerung – obwohl er seine öde Heimat lieber nicht verlassen würde und obwohl ihm in der Gesellschaft anderer Menschen längst nicht mehr wohl ist – und kommt mit, um diesen Kindern aus Helligtal zu helfen, einer Not zu gehorchen, die größer ist, als sie begreifen. Ich weiß nicht, wie lange er fort sein wird. Aber das eine, was ich ihm gern ersparen würde und was Ihr uns allen zu ersparen wünschen solltet, ist die Sorge, dass ein kleines Kind sterben könnte, weil er nicht da ist, um es in Empfang zu nehmen. Lasst Euch eines gesagt sein: Ich werde keinen zweiten Säugling begraben. An dem Tag, an dem ich das tun muss, werde ich diese Gewänder hier ablegen und mir alle zu Todfeinden machen, die Kinder einer solchen Gefahr aussetzen.«
Die Regentin hörte die Drohung, brach aber unter Vendanjis unverwandt finsterem Blick nicht zusammen; allerdings tadelte sie ihn auch nicht.
»Tut das«, schloss Vendanji, »oder tötet Denolan, wenn wir vom Ende aller Dinge zurückkehren. Lasst ihn hinrichten wie jeden beliebigen Verräter. Ihr kennt ihn, Helaina. Er wäre dazu bereit.«
Die Regentin erwiderte seinen Blick nachdenklich. »Ja«, sagte sie. »Das wäre er.«
Vendanjis Zorn legte sich. Er sah diese alten Freunde an. »Ich verlange es«, sagte er, »weil es richtig ist. Wenn Ihr in Eure Herzen blickt, werdet auch Ihr das erkennen.«
Die Regentin streckte die Hand aus, und Vendanji legte das Stück von der Decke des Kindes hinein. Als sie darauf hinabsah, kamen ihr die Tränen. Diesen einen Augenblick lang wich die Regentin der Mutter, die ihr Kind verloren hatte. Ohne aufzuschauen, nickte sie. »Ich werde keine Kinder mehr in die Wiege legen lassen«, erklärte sie leise. »Bitte sagt das Denolan.«
Vendanji streckte die Hand aus und legte sie über die der Regentin, während sie das Stoffstück glattstrich. »Danke, Anais.«
Er blickte zu Artixan auf,
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