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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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seltsam oder manchmal sogar krank fühlte. Erinnerungen brachen über ihn herein wie Wildwasser.
    Er verschloss die Augen vor den Bildern. Er wusste, ohne hinzusehen, dass der Schatten hinter ihm Grant war.
    Und er wusste, dass der Mann sein Vater war.
    Der gesichtslose Mann aus seinen Träumen und Albträumen; der Mann, der ihm beigebracht hatte, auf einer Klippe zu stehen und den Bogen zu spannen und dass das, worauf es ankam, seine Absicht war, da es kein Ziel geben würde; der Mann auf der öden Ebene – dem Mal; der Mann mit der windgepeinigten Stimme; der Mann, der ihm beigebracht hatte, seine schlummernde Gabe zu erkennen, das Raunen des Willens zu hören und sie mit seiner Waffe harmonieren zu lassen, indem er jedes Mal in seinem Leben, wenn er die Sehne spannte, diese Worte rezitierte: Den Bogen spannen meine Arme, doch der Wille löst den Pfeil. Worte, die ihn auf eine Weise geprägt hatten, die oft dafür gesorgt hatte, dass er sich wie rasend fühlte.
    Diese Worte hatten ihn aufgehalten, als er seine Schwester gegen den Bar’dyn hätte verteidigen sollen …
    Tahns Augen flogen auf, und er sah die Gestalt im Schatten an. »Du Teufel ! Wendra! Ist sie überhaupt meine Schwester?«
    Grant eilte zu Tahn, aber der stemmte ihm den Stiefel gegen die Brust. »Antworte mir!«
    Der Wind heulte im Licht des spröden Mondes um den Rand der Klippe.
    »Nein«, sagte Grant. »Das ist sie nicht.«
    Tahn starrte auf die langgestreckte, dunkle Solielebene hinab. »Balatin! Warum hast du mir das nie gesagt?«
    Er sah vor seinem inneren Auge hundert Erinnerungen an Gesang, Tanz, Jagd, Spiele, Essen, Nordsonnfeiern und Balatins warmherzige Liebe … Und das war alles eine Lüge gewesen! Das Leben, an das er sich geklammert hatte, obwohl er sich an die ferne Vergangenheit nicht hatte erinnern können, war nichts als Lug und Trug gewesen, ein Komplott, das die Menschen geschmiedet hatten, die behaupteten, ihn zu lieben. Und jetzt konnte er darunter die Jahre der trockenen, einsamen Hoffnungslosigkeit spüren, die er mit Grant im Mal verbracht hatte. Er verstand, dass er dort gelernt hatte zu kämpfen, zu prüfen und zu leben, alles nur im Hinblick auf den Tag, an dem er an diesen Ort der letzten Dinge kommen und als Opfer für den Sheson und sein Märtyrervorhaben, recht zu behalten, dienen würde. In Tahns Verstand keimten Mordgedanken auf.
    Das spürte der Sheson wohl, denn seine Hände berührten Tahn wieder und ließen ein gewisses Maß an Frieden in sein verstörtes Herz strömen. Aufs Neue spürte Tahn Wärme.
    Aber sie reichte nicht aus, um den Zorn zu verscheuchen, der in ihm schwelte. Als Vendanji die Hände zurückzog, kniete Tahn im unbarmherzigen Mondschein und schwor einen Eid: »Ich werde dafür sorgen, dass ihr beide von Tod und Verwesung in Stücke gerissen und aus jedem Buch, das euren Namen enthält, für immer getilgt werdet. Und wenn irgendetwas in mir steckt, das mich befähigt, mich dem Tillinghast zu stellen, dann habt ihr versagt!«, schrie er ins Gewölbe des Himmels empor. »Denn ich werde nicht hingehen! Angesichts eurer Lügen und Täuschungen und weil ihr mir alles geraubt habt, was einfach, ehrlich und wahr ist, wäre es mir lieber, wenn die Stille kommen und die Sonne im Osten sterben würde, als euch dabei zu helfen, den Plan in die Tat umzusetzen, dem ich zum Opfer fallen soll.« Er holte tief Luft. »Nein!«
    Er brach erneut zusammen und weinte bittere Tränen.
    Er verstand jetzt so viel, konnte sich all die Fragen beantworten, die er sich ein Leben lang nur zögerlich gestellt hatte, weil ein zu tiefes Nachsinnen an Möglichkeiten gerührt hätte, über die er lieber nichts erfahren wollte. Aber dank der fürchterlichen Enthüllung unter den Händen dieses Sheson verstand er nun alles. Er war Grants Sohn, der zehn Jahre lang in der Ödnis des Mals ausgebildet worden war, um ihn auf eine Zeit vorzubereiten, von der sie alle hofften, dass sie nie anbrechen würde, aber dann nach Helligtal geschickt worden war, um ihr Geheimnis zu wahren – nach Helligtal, wohin Grant seinen besten Freund und dessen Frau entsandt hatte, die er aus seinem Leben in Decalam vor seinem Exil gekannt und geschätzt hatte, damit sie Tahn als ihren eigenen Sohn aufzogen.
    »Balatin«, schrie Tahn. »Warum?« Die Tränen strömten ihm heiß und schmerzlich über die Wangen.
    Als er unter denselben Sternen lag, die einst die Fixpunkte seiner Träume gewesen waren, wurde ihm klar, dass der Mann, der ihn früher und mehr

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